Urteile
Dienstag, 18. Juli 2023

Die verweigerte Mitwirkung zur Klärung eines Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung rechtfertigt gemäss Urteil des Bundesgerichts 8C_717/2022 vom 7. Juni 2023 keine vollständige Streichung der Sozialhilfe. Das Versicherungsgericht des Kantons Tessin hat mit einem entsprechenden Entscheid das Grundrecht auf Nothilfe der betroffenen Person verletzt.

Donnerstag, 22. Juni 2023

Bei der Berechnung der Mindestversicherungsdauer für die Ausrichtung von Überbrückungsleistungen wird die in einem EU-Mitgliedstaat geleistete Beitragszeit nicht angerechnet, weil es keine Leistungen bei Arbeitslosigkeit im Sinne des europäischen Koordinationsrechts sind. Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 8C_670/2022 vom 25. Mai 2023 den Entscheid des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, der die im Ausland geleistete Beitragszeit nicht berücksichtigt und weist die von der betroffenen Person dagegen erhobene Beschwerde ab.

Donnerstag, 08. Juni 2023

Die in Deutschland von einer Person schweizerischer Nationalität erlangte Streichung der Geschlechtsangabe wird in der Schweiz nicht anerkannt und kann nicht ins schweizerische Personenstandsregister eingetragen werden. Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers gilt einstweilen weiter die binäre rechtliche Geschlechterordnung (Mann/Frau) und ist der Verzicht auf einen Geschlechtseintrag unzulässig. Das Bundesgericht ist, wie es im Urteil 5A_391/2021 vom 8. Juni 2023 erklärt, aufgrund der Gewaltenteilung nicht befugt, davon abzuweichen. Sobald das begründete Urteil vorliegt, wird dieser Artikel einen Update erfahren.

Montag, 01. Mai 2023

Die im Kanton Freiburg eingereichte Volksinitiative für kostenlose öffentliche Verkehrsmittel wurde zu Recht für ungültig erklärt, weil sie nicht mit der Bundesverfassung vereinbar ist. Das Bundesgericht weist im Urteil 1C_393/2022 vom 31. März 2023 die Beschwerde gegen den Entscheid des Grossen Rates des Kantons Freiburg ab.

Freitag, 17. März 2023

Das Bundesgericht weist im Urteil 1C_100/2021 vom 14. Februar 2023 eine Beschwerde im Zusammenhang mit dem geplanten Bau einer Mobilfunkanlage mit drei adaptiven 5G-Antennen in Steffisburg (BE) ab. Eine Verletzung des umweltschutzrechtlichen Vorsorgeprinzips wird verneint. Die rechnerische Prognose der Mobilfunkstrahlung ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden und die vom Bund empfohlene Messmethode sowie das Qualitätssicherungssystem erweisen sich zum heutigen Zeitpunkt als tauglich. Die Folgen, die sich aus den jüngsten Änderungen der massgebenden Verordnung des Bundesrats ergeben könnten, waren vorliegend nicht zu beurteilen.

Mittwoch, 01. März 2023

Im Urteil 4A_314/2022 vom 24. Januar 2023 aus dem Kanton Schwyz befasste sich das Bundesgericht mit einem Glimmbrand eines Lieferwagens, welcher durch die Erhitzung des Katalysators zu einem Brand einer Tanne führte. Das Bundesgericht nahm in diesem – erstaunlicherweise nicht für die amtl. Publ. vorgesehenen SVG-Leiturteil – eingehend zur Kausalhaftung von Art. 58 Abs. 1 SVG Stellung. Hier ist eine der Schlüsselstellen aus dem Urteil: «Der Brand war daher zwar im weiteren Sinne eine Folge des Betriebs des Motorfahrzeugs, allerdings spielt der Betrieb bzw. die Fortbewegung hier eine derart unbedeutende Rolle, dass der Brand vom Zweck des Art. 58 Abs. 1 SVG nicht mehr gedeckt ist.  Anders zu entscheiden, würde dazu führen, dass grundsätzlich jedes Mal die Kausalhaftung eintritt, wenn das [fahrende] Motorfahrzeug in irgend einer Weise Ursache des Schadens ist, was mit Art. 58 Abs. 1 SVG nicht beabsichtigt wurde.» (E.3.4.5).

Donnerstag, 02. Februar 2023

Einem ausländischen Staatsangehörigen, der vor seiner Frühpensionierung Sozialhilfe bezog, wurde die Niederlassungsbewilligung widerrufen, weil er Ergänzungsleistungen erhält. Das Bundesgericht heisst im Urteil 2C_60/2022 27. Dezember 2022 die Beschwerde des Betroffenen gut. Da im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils keine Sozialhilfeabhängigkeit mehr bestand und der Bezug von Ergänzungsleistungen kein Widerrufsgrund ist, bleibt die Niederlassungsbewilligung bestehen.

Freitag, 27. Januar 2023

Das Bundesgericht heisst im Urteil 1C_759/2021 vom 19. Dezember 2022 eine Beschwerde gegen die Änderung des Gesetzes über die Wohnraumförderung des Kantons Basel-Stadt teilweise gut. Es hebt die Bestimmung auf, wonach die in Zeiten von Wohnungsnot erforderliche Bewilligung zum Umbau, zur Renovation oder zur Sanierung einer Liegenschaft davon abhängig gemacht wird, dass den bisherigen Mietparteien ein Rückkehrrecht zusteht. Das Bundesgericht urteilt wie folgt: «§ 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS erweist sich als mit Art. 49 und Art. 109 i.V.m. Art. 122 BV unvereinbar. Insoweit ist die Beschwerde gutzuheissen und der genannte § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS aufzuheben.» (E.6).

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Freitag, 20. Januar 2023

Im ZGB-Leiturteil 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022, wo der Sachverhalt in Brig-Glis spielt, befasst sich das Bundesgericht mit einer Bachquelle. Das Bundesgericht macht umfassende und vielfach auch generell-abstrakte Ausführungen zu den Themen Quellen, öffentliche Gewässer sowie Bachquellen und Privatquellen im Sinne von Art. 704 Abs. 1 ZGB.

Donnerstag, 19. Januar 2023

Die von der Serafe AG pro Haushalt erhobene Abgabe für Radio und Fernsehen stellt gemäss Urteil 2C_547/2022 vom 13. Dezember 2022 keine Diskriminierung gegenüber Personen dar, die als "Single" leben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde eines allein wohnenden Mannes ab, welche sehr detailliert verschiedene Rügen, auch von diversen Verletzungen von Rechten der EMRK, vornahm, ab.

Mittwoch, 18. Januar 2023

Im lesenswerten Urteil 4A_315/2022 vom 13. Dezember 2022 befasste sich das Bundesgericht mit dem zentralen Thema der ärztlichen Aufklärungspflicht vor chirurgischen Eingriffen. Es ging um eine HNO-Nasennebenhöhlenoperation. Das Bundesgericht machte wichtige Ausführungen zur Aufklärungspflicht, u.a., dass es dem Arzt obliege, den Beweis für die Aufklärung zu erbringen (E.4), dass die Aufklärung grundsätzlich nicht an eine bestimmte Form gebunden sei und einzelfallbezogen über die Frage der genügenden Aufklärung zu entscheiden sei (E.7.1) sowie dass eine schriftliche Aufklärung im Einzelfall genügen könne (E.7.1 und E.7.2). Das Bundesgericht erwähnte auch, dass ein Übermass an Informationen auch kontraproduktiv sein könne (E.7.2).