Gesetz über die Wohnraumförderung Basel-Stadt greift unzulässigerweise ins Privatrecht ein

Das Bundesgericht heisst im Urteil 1C_759/2021 vom 19. Dezember 2022 eine Beschwerde gegen die Änderung des Gesetzes über die Wohnraumförderung des Kantons Basel-Stadt teilweise gut. Es hebt die Bestimmung auf, wonach die in Zeiten von Wohnungsnot erforderliche Bewilligung zum Umbau, zur Renovation oder zur Sanierung einer Liegenschaft davon abhängig gemacht wird, dass den bisherigen Mietparteien ein Rückkehrrecht zusteht. Das Bundesgericht urteilt wie folgt: «§ 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS erweist sich als mit Art. 49 und Art. 109 i.V.m. Art. 122 BV unvereinbar. Insoweit ist die Beschwerde gutzuheissen und der genannte § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS aufzuheben.» (E.6).

Die Stimmberechtigten des Kantons Basel-Stadt nahmen im November 2021 die Volksinitiative „Ja zum echten Wohnschutz!“ an. Die Initiative sah eine Änderung von zahlreichen Bestimmungen des kantonalen Gesetzes über die Wohnraumförderung vor. Unter anderem legt dessen neuer Paragraf 8a fest, dass sämtliche Umbau-, Renovations- und Sanierungsvorhaben, die über den einfachen ordentlichen Unterhalt hinausgehen, in Zeiten der Wohnungsnot einer Bewilligungspflicht unterliegen; gemäss Absatz 3 des gleichen Paragrafen wird die Bewilligung erteilt, wenn (a) den Mietparteien das Recht zur Rückkehr in die sanierte oder umgebaute Liegenschaft zusteht und wenn (b) die im Gesetz festgelegten Mietzinse eingehalten werden. Eine Person erhob gegen die Teiländerung Beschwerde ans Bundesgericht.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut. Einzutreten ist auf die Beschwerde nur bezüglich des Rückkehrrechts der Mietparteien (§ 8 Abs. 3 lit. a). Diese Bestimmung verstösst gegen den verfassungsmässig garantierten Vorrang des Bundesrechts und wird aufgehoben. Zwar ist es den Kantonen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung unbenommen, verhältnismässige Massnahmen zur Bekämpfung von Mietknappheit zu treffen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sie den Umbau oder den Abbruch von Wohnhäusern einer Bewilligungspflicht unterstellen; zulässig ist es auch, diese Bewilligung während einer bestimmten Zeit an eine staatliche Mietzinskontrolle zu knüpfen.

Hingegen dürfen die Kantone nicht direkt in die Verträge zwischen Vermieter und Mieter eingreifen, weil das Bundeszivilrecht diese Materie abschliessend regelt. Im Gegensatz zu indirekten Massnahmen wie der Bewilligungspflicht für einen Umbau oder eine Sanierung handelt es sich beim Rückkehrrecht um eine zivilrechtliche Bestimmung. Sie liegt nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse, sondern dient vor allem den privaten Interessen der bisherigen Mietparteien. Das Rückkehrrecht ist nicht auf bezahlbaren Mietwohnraum beschränkt und auch nicht auf einen Personenkreis, der dieses Schutzes besonders bedürfen würde. Auch liegt keine Beschränkung mit Bezug auf bestimmte Quartiere mit ausgeprägter Wohnungsnot oder auf konkrete sozialpolitische Ziele vor. Vielmehr betrifft das Rückkehrrecht in erster Linie das Verhältnis zwischen Privaten und greift direkt in das bundesrechtlich abschliessend geregelte Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter ein.

Wichtigste Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1C_759/2021 vom 19. Dezember 2022

«Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach Art. 49 Abs. 1 BV schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend regelt, eine Rechtssetzung durch die Kantone aus. Diese werden in ihren öffentlich-rechtlichen Befugnissen durch das Bundeszivilrecht indessen nicht beschränkt (Art. 6 Abs. 1 ZGB [SR 210]). Eine gleiche Materie kann sowohl von Regeln des Bundeszivilrechts als auch von solchen des kantonalen öffentlichen Rechts erfasst werden. Kantonale Regelungen sind in diesem Fall rechtsprechungsgemäss zulässig, wenn der Bundesgesetzgeber die Materie nicht abschliessend regelt, die kantonale Regelung durch ein schutzwürdiges öffentliches Interesse begründet ist und sie nicht gegen Sinn und Geist des Bundesrechts verstösst oder dessen Durchsetzung beeinträchtigt oder vereitelt. In diesem Rahmen kann jedoch das kantonale öffentliche Recht das Bundesprivatrecht nicht nur ergänzen, sondern auch in seiner Tragweite beeinflussen. Art. 6 ZGB anerkennt insofern eine expansive Kraft des kantonalen öffentlichen Rechts (zum Ganzen BGE 146 I 70 E. 5.2.1; 143 I 109 E. 4.2.2 S. 113 f. mit Hinweisen).» (E.4.2.1).

«Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfen die Kantone nicht direkt in die Verträge zwischen Vermieter und Mieter eingreifen, weil das Bundes (zivil) recht diese Materie abschliessend regelt. Den Kantonen bleibt es jedoch unbenommen, verhältnismässige Massnahmen zur Bekämpfung der Mietknappheit zu treffen, indem sie beispielsweise den Umbau und den Abbruch von Wohnhäusern einer Bewilligungspflicht unterwerfen bzw. die Bewilligung für den Umbau von Wohnhäusern an die Bedingung knüpfen, während einer bestimmten Zeit die Höhe der Mieten zu kontrollieren und damit Mieterhöhungen zu verhindern, die dem Ziel der kantonalen Regelung widersprechen. An der Zulässigkeit derartiger kantonaler Bestimmungen ändert der Umstand nichts, dass die entsprechenden Massnahmen zur Bekämpfung der Mietknappheit indirekt das Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter beeinflussen können, indem sie höhere Mieten für die von den Massnahmen betroffenen Wohnungen verhindern (zum Ganzen BGE 146 I 70 E. 5.2.2 mit Hinweisen).» (E.4.2.2)

Fraglich ist gemäss Bundesgericht, ob der kantonale Gesetzgeber befugt war, die Bewilligung von Umbauten, Renovationen und Sanierungen, wie in § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS vorgesehen, von einem Rückkehrrecht der bisherigen Mietparteien abhängig zu machen. (E.4.4). Das Bundesgericht setzte sich anschliessend ausführlich mit den Materialien zur entsprechenden gesetzlichen Regelung in Basel-Stadt auseinander.

Das Bundesgericht kommt schliesslich im Urteil 1C_759/2021 vom 19. Dezember 2022 zur folgenden Konklusion:  «Im Gegensatz zur Einführung einer kantonalen Bewilligungspflicht für Sanierungen von Mietobjekten oder zur Vorschrift, welche die Möglichkeit einer Mietzinserhöhung nach einem Umbau, einer Renovation oder einer Sanierung beschränkt, dient die Bestimmung, die eine Bewilligung einer solchen Bautätigkeit davon abhängig macht, dass den bisherigen Mietparteien das Recht zur Rückkehr in die sanierte oder umgebaute Liegenschaft eingeräumt wird, nicht dem Gesetzeszweck, in Zeiten der Wohnungsnot preisgünstigen Wohnraum sicherzustellen. Der Beschwerdeführer macht vor diesem Hintergrund geltend, dass es sich dabei nicht um eine öffentlich-rechtliche Bestimmung handle, sondern um eine privatrechtliche, was dem Bundesrecht widerspreche und den Vorrang des Bundesrechts verletze (Art. 49 BV).» (E.4.4.1).

«Ob eine streitige Zivilsache im Sinne von Art. 1 lit. a ZPO (SR 272) oder eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit vorliegt, beurteilt sich nach der Rechtsnatur des Streitgegenstands. Für die Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht hat die Lehre mehrere Methoden entwickelt, insbesondere die Interessen-, die Funktions- und die Subordinationstheorie. Das Bundesgericht nimmt die Abgrenzung gestützt auf verschiedene Methoden vor, wobei keiner a priori der Vorrang zukommt (Methodenpluralismus). Vielmehr prüft es in jedem Einzelfall, welches Abgrenzungskriterium den konkreten Gegebenheiten am besten gerecht wird. Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass der Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht ganz unterschiedliche Funktionen zukommen, die sich nicht mit einem einzigen theoretischen Unterscheidungsmerkmal erfassen lassen (BGE 138 I 274 E. 1.2; 138 II 134 E. 4.1). Dabei ist zu berücksichtigen, ob der umstrittene Rechtssatz ausschliesslich oder vorwiegend privaten oder öffentlichen Interessen dient (Interessentheorie), er die Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder die Ausübung einer öffentlichen Tätigkeit zum Gegenstand hat (Funktionstheorie), die handelnde Organisation dem Privaten als Träger hoheitlicher Gewalt gegenübertritt (Subordinationstheorie) oder die Norm zivil- bzw. öffentlichrechtliche Wirkungen oder Folgen nach sich zieht (modale Theorie; vgl. zum Ganzen BGE 138 II 134 E. 4 mit Hinweisen).» (E.4.4.4).

«Für die Frage, ob es sich beim strittigen „Rückkehrrecht“ gemäss § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS um eine zivilrechtliche oder um eine öffentlich-rechtliche Bestimmung handelt, ist gemäss der Interessentheorie somit von Bedeutung, ob sie vorwiegend privaten oder öffentlichen Interessen dient. Der Regierungsrat erkennt gestützt auf § 34 Abs. 3 KV/BS grundsätzlich ein öffentliches Interesse am Schutz der Mieterinnen und Mieter von bezahlbarem Mietwohnraum in Zeiten der Wohnungsnot (vorne E. 4.4.2). § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS ist jedoch nicht auf bezahlbaren Mietwohnraum beschränkt und auch nicht auf einen Personenkreis, dessen Schutz aus anderen sozialpolitischen Überlegungen ein öffentliches Interesse zukommt. Die Bestimmung sieht auch keine räumlichen Differenzierungen vor, etwa in Bezug auf bestimmte Quartiere mit besonderen sozialpolitischen Bedürfnissen. § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS schützt bei Wohnungsnot vielmehr beinahe unterschiedslos alle von einer Sanierung oder einem Umbau betroffenen Mietparteien davor, dass sie aufgrund solcher Veränderungen des Mietobjekts ihre Wohnung aufgeben müssen und nicht mehr dahin zurückkehren können. Wie bereits der Regierungsrat aufgezeigt hat, ist ein öffentliches Interesse an einem derart undifferenzierten rechtlichen Schutz beinahe aller Mietparteien zweifelhaft. Ein so konzipiertes Rückkehrrecht dient vielmehr in erster Linie den privaten Interessen der bisherigen Mietparteien.  

Selbst wenn das Rückkehrrecht im Hinblick auf seine Kompatibilität mit § 34 KV/BS – und entgegen dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik – nach Ankündigung des Regierungsrats nur bei „bezahlbaren“ Mietwohnungen eingeräumt werden soll (vorne E. 4.4.2), bleibt die Konkretisierung des öffentlichen Interesses am Schutz von Mietparteien bezahlbaren Mietwohnraums während einer Wohnungsnot pauschal. Es bedarf namentlich keiner massnahmebedürftigen Situation, damit das Rückkehrrecht eingeräumt wird. So werden alle Mietparteien bezahlbarer Mietwohnungen dadurch geschützt, unabhängig davon, ob sie eines solchen Schutzes bedürfen oder nicht. Eine solche Privilegierung bisheriger Mietparteien gegenüber allenfalls bedürftigeren neuen Mietparteien kann sich in dieser wenig differenzierten Form nur bedingt auf ein öffentliches Interesse stützen. Im Vordergrund der Regelung steht das private Interesse am Schutz der bisherigen Mietparteien vor Kündigung. Daher liegt das „Rückkehrrecht“ nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse. Die Bestimmung ist somit nach der Interessentheorie als zivilrechtlich zu qualifizieren. 

Auch die übrigen Abgrenzungsmethoden führen zu keinem anderen Schluss. § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS steht nämlich nicht in einem näheren Zusammenhang mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe und hat keine öffentliche Aufgabe zum Gegenstand. Die Bestimmung betrifft das Verhältnis zwischen gleichgestellten Privaten und zieht zivilrechtliche Konsequenzen nach sich. Nach allen Abgrenzungsmethoden ist das in § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS vorgesehene Rückkehrrecht in eine Mietwohnung nach einer Sanierung oder einem Umbau zivilrechtlicher Natur. Daran ändert auch nichts, dass das Rückkehrrecht nicht direkt eingeräumt wird, sondern bloss die öffentlich-rechtliche Bewilligung des Umbaus, der Renovation oder der Sanierung von der Einräumung dieses Rückkehrrechts abhängig gemacht wird. Die öffentlich-rechtliche Sanktionierung einer zivilrechtlichen kantonalen Bestimmung macht diese nicht zu einer öffentlich-rechtlichen. 

Der Kündigungsschutz im Mietrecht ist jedoch im Bundeszivilrecht abschliessend geregelt (vorne E. 4.2.2 und 4.2.3; sowie BGE 113 Ia 126 E. 9d). Die angefochtene Bestimmung greift direkt in das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter ein. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gewährleistung von § 34 KV/BS festgehalten hat (BBl 2018 7750; vorne E. 4.4.3), sind indirekte, verhältnismässige sozialpolitische Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Verdrängung durch Kündigungen und Mietzinserhöhungen zulässig, nicht aber direkte Eingriffe. Die Gewährleistung der KV/BS durch die Bundesversammlung ist folglich nicht dahingehend zu verstehen, dass sich diesbezüglich etwas ändern sollte. Wie bereits erwähnt (vorne E. 4.4.1), ist ferner nicht ersichtlich, dass das Rückkehrrecht der Sicherstellung preisgünstigen Wohnraums in Zeiten der Wohnungsnot dienen könnte.» (E.4.4.5).

Das Bundesgericht urteilt wie folgt: «§ 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS erweist sich als mit Art. 49 und Art. 109 i.V.m. Art. 122 BV unvereinbar. Insoweit ist die Beschwerde gutzuheissen und der genannte § 8a Abs. 3 lit. a WRFG/BS aufzuheben. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.» (E.6).

 

 

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