Privateigentum an Quellen

Im ZGB-Leiturteil 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022, wo der Sachverhalt in Brig-Glis spielt, befasst sich das Bundesgericht mit einer Bachquelle. Das Bundesgericht macht umfassende und vielfach auch generell-abstrakte Ausführungen zu den Themen Quellen, öffentliche Gewässer sowie Bachquellen und Privatquellen im Sinne von Art. 704 Abs. 1 ZGB.

Sachverhalt

Die Personen  A., B. und C. sind Miteigentümer einer Parzelle in der Gemeinde Brig-Glis, auf der die Quelle „E.“ entspringt.

Auf Klage von D., A., B. und C. vom 14. Mai 2014 stellte das Bezirksgericht Brig mit Entscheid vom 24. Februar 2021 fest, dass sich die genannte Quelle im Privateigentum von A., C. und B. befindet. Die Klage von D. wies es (mangels Aktivlegitimation) ab.

Verfahrensgang

Die Einwohnergemeinde Brig-Glis erhob gegen diesen Entscheid Berufung. Das Kantonsgericht Wallis hiess diese mit Entscheid vom 2. Mai 2022 gut, hob den erstinstanzlichen Entscheid auf, wies die Klage ab und stellte fest, dass es sich bei der streitgegenständlichen Quelle um eine Bachquelle im öffentlichen Eigentum der Gemeinde Brig-Glis handelt (Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Wallis, I. Zivilrechtliche Abteilung, vom 2. Mai 2022 (C1 21 87)). Am 9. Juni 2022 berichtigte das Kantonsgericht das Dispositiv in Bezug auf die Parteientschädigung.

Weiterzug ans Bundesgericht

Gegen diesen Entscheid gelangen A., B. und C. (die Beschwerdeführer) mit Beschwerde in Zivilsachen vom 2. Juni 2022 an das Bundesgericht. Sie beantragen, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass es sich bei der Quelle „E. “ um eine private Quelle handle, an der kein öffentliches Eigentum möglich sei. Subsidiär sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Angelegenheit an das Kantonsgericht zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen des Bundesgerichts zurückzuweisen.

Die Einwohnergemeinde Brig-Glis (Beschwerdegegnerin) beantwortete die Beschwerde am 16. September 2022. Das Kantonsgericht verzichtete unter Verweis auf sein Urteil auf Stellungnahme. Die Beschwerdeführer liessen sich dazu nicht weiter vernehmen.

Im Übrigen hat das Bundesgericht die kantonalen Akten eingeholt.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022

Das Bundesgericht macht im Urteil 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022 folgende, fast schon lehrbuchartige, Ausführungen zum Thema Quellen und öffentliche Gewässer:

«Quellen sind grundsätzlich – qua Akzessionsprinzip – Bestandteile der Grundstücke, auf welchen sie hervortreten (Art. 667 Abs. 2, Art. 704 Abs. 1 ZGB); das Eigentum am Grundstück erstreckt sich daher auch auf die darauf entspringende Quelle.» (E.3.1)

«In Abgrenzung dazu besteht an öffentlichen Gewässern unter Vorbehalt anderweitigen Nachweises kein Privateigentum (Art. 664 Abs. 2 ZGB).» (E.3.2).

«Öffentliche Gewässer sind begrifflich stehende oder fliessende natürliche Gewässer und zählen damit zu den herrenlosen Sachen mit der Besonderheit, dass es den Kantonen überlassen bleibt, von den Gewässern jene abzugrenzen, die öffentlich sein sollen; Gewässer haben also ihre Öffentlichkeit nicht nur ihrer natürlichen Beschaffenheit oder ihrer Versorgungsfunktion (vgl. dazu LIVER, Die Entwicklung des Wasserrechts in der Schweiz seit hundert Jahren, in: Hundert Jahre schweizerisches Recht, Festgabe zum Centenarium der Zeitschrift für schweizerisches Recht 1852-1952, 1952, S. 345; DERS., Der Prozess des Müllers Arnold und das geltende private Wasserrecht, in: ZBJV 1946 S. 97 ff., 146), sondern auch den kantonalen Rechtsordnungen zu verdanken und weisen insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit den öffentlichen Sachen auf (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 3. Aufl. 1964, N. 14 zu Art. 664 ZGB). Das Bundeszivilrecht nennt die Kriterien nicht, nach denen aufgrund von Art. 664 Abs. 1 ZGB der Hoheit der Kantone unterstellte Gewässer als öffentlich zu betrachten sind; namentlich gibt es kein bundesrechtliches Wasserführungsminimum als Merkmal der Öffentlichkeit eines Gewässers. Diese zu bestimmen ist Sache der Kantone (vgl. BGE 122 III 49 E. 2a; 113 II 236 E. 4; Urteile 2C_118/2020 vom 3. August 2020 E. 4.1; 2C_622/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 3.2).» (E.3.3).

«Macht der Kanton von dieser Regelungskompetenz Gebrauch, wird die Öffentlichkeit des Gewässers durch einen Akt des Gesetzgebers begründet; das grundsätzlich als Bestandteil des umgebenden Erdbodens im Privateigentum stehende Gewässer wird somit als öffentlich konstituiert (REY/STREBEL, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 6. Aufl. 2019, N. 28 zu Art. 664 ZGB). Sodann werden in Abweichung vom Akzessionsprinzip die Quellen von öffentlichen Gewässern als Teil des von ihnen gebildeten Wasserlaufs betrachtet und nicht als Teil des Grundstücks (BGE 122 III 49 E. 2a mit Hinweisen; REY/STREBEL, a.a.O., N. 7a zu Art. 704 ZGB).  Folglich unterstehen nicht alle Quellen, die auf einem Privatgrundstück entspringen, Art. 704 Abs. 1 ZGB. Lehre und Rechtsprechung unterscheiden zwischen Privatquellen, auf welche Art. 704 Abs. 1 ZGB Anwendung findet, und öffentlichen „Bach-“ oder „Flussquellen“ (siehe BGE 122 III 49 E. 2).» (E.3.2.2)

Das Bundesgericht fährt im Urteil 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022 fort mit dem Fokus auf den Kanton Wallis:

«Der Kanton Wallis hat von der ihm zustehenden Kompetenz Gebrauch gemacht. Gemäss Art. 163 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EGZGB; SGS 211.1) fallen Wasserläufe, ab demjenigen Punkt wo sie entspringen, in das öffentliche Eigentum der Gemeinden. Ebenfalls in den Bereich des öffentlichen Gemeindeeigentums gehören die unterirdischen Gewässer mit einer mittleren Wassermenge von mehr als 300 Liter/Minute, unter Vorbehalt bestehender privater Nutzungen, welche bereits vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bestanden, und den Entnahmen an der Oberfläche durch den Eigentümer bis höchstens 50 Liter/Minute (Art. 163 Abs. 4 EGZGB). Anders als bei unterirdischen Gewässern regelt das kantonale Recht nicht, welche Mächtigkeit und/oder Stetigkeit der (oberirdische) Wasserlauf aufweisen muss, um als öffentliches Gewässer zu gelten. Damit sind im Kanton Wallis grundsätzlich alle Wasserläufe öffentlich (siehe Urteil 1P.37/2001 vom 3. Mai 2001 E. 3a).» (E.3.2.3).

Bezüglich des Themas der «Bachquelle» äussert sich das Bundesgericht im Urteil 5A_420/2022 vom 8. Dezember 2022 wie folgt:

«Zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Wasseraustritt als (je nach kantonalem Recht in das öffentliche Eigentum fallende) „Bachquelle“ zu qualifizieren ist, ist in erster Linie zu prüfen, ob der Wasserausstoss, unabhängig davon, ob das Wasser an einem oder mehreren Orten austritt, von Anfang an einen Wasserlauf – einen Bach – bildet (BGE 97 II 333 E. 1). Ob das entspringende Wasser von Anfang an einen Wasserlauf bzw. einen Bach bildet, ist daran zu messen, ob es sich aufgrund der Mächtigkeit und Stetigkeit des Wasseraustritts ein Bett mit festen Ufern schafft oder zu schaffen vermöchte, wäre es nicht gefasst worden (BGE 122 III 49 E. 2a).» (E.3.3).

«Unbestrittenermassen tritt das Wasser der Quelle „E. “ an mehreren Orten aus. Es war von den Grundeigentümern weder gefasst noch genutzt worden. Schliesslich hat sich vor der zu Messzwecken von der Beschwerdegegnerin erstellten (rudimentären) Fassung weder ein Bachbett noch ein Bachlauf gebildet; das Wasser ist versickert. Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, ist eine Quelle entgegen der Auffassung der Vorinstanz (und der ihr folgenden Beschwerdegegnerin) nicht gleichsam abstrakt anhand der Mächtigkeit und Stetigkeit des Wasserausstosses bzw. der Folgen einer künstlichen, d.h. von Menschenhand geschaffenen, Fassung als privat oder als öffentlich einzustufen. Ebenso wenig trifft die Überlegung zu, bei einer Mehrzahl von Wasseraustritten stehe der fehlende Bachlauf der Qualifizierung einer Quelle als Bachquelle nicht entgegen, sofern deren Leistung insgesamt geeignet sei, einen Bachlauf zu bilden. Ohne Wasserlauf (bzw. Bach) fehlt jede Anknüpfung an ein öffentliches Gewässer, die es erst erlaubt, die Quelle – in Abweichung vom Akzessionsprinzip bzw. von Art. 704 Abs. 1 ZGB – als Teil des von ihr gebildeten Wasserlaufs zu betrachten (E. 3.2.2).» (E.4.1).

«Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Vorinstanz verwiesenen BGE 97 II 333, bildete die Zallazquelle, die – ähnlich wie hier – an mehreren Quellpunkten entsprang, doch von Anfang an einen Wasserlauf bzw. einen Bach. Ebenso wenig vermag der Umstand, dass die Quelle gemäss den Feststellungen der Vorinstanz nach ihrer Fassung eine gewisse Versorgungsfunktion wahrnehmen könnte (Deckung des Tagesbedarfs von mindestens 864 Personen), die rechtliche Qualifikation zu beeinflussen, denn die Kriterien der Mächtigkeit und der Stetigkeit sind nicht, wie dies die Vorinstanz gemacht hat, unabhängig vom Kriterium des Wasserlaufs bzw. des Bachbetts zu prüfen. Ist eine Quelle nicht gefasst worden, so äussert sich ihre Mächtigkeit und Stetigkeit gerade darin, ob sich von Anfang an ein Wasserlauf gebildet, diese sich mit anderen Worten ein Bett mit festen Ufern zu schaffen vermocht hat.» (E.4.2)

«Unbegründet ist schliesslich die Befürchtung der Beschwerdegegnerin, dass die Qualifikation als Privat- oder Bachquelle aufgrund des Vorstehenden durch ein Naturereignis oder durch leichte Manipulation beeinflusst werden könnte. Damit kehrt sie die Argumentation um, geht es doch gerade darum, Quellen, die von Anfang an einen Wasserlauf bilden, das heisst, die Mächtigkeit und Stetigkeit besitzen, sich ein Bett mit festen Ufern zu schaffen oder zu schaffen vermöchten, wären sie nicht gefasst worden, von Art. 704 Abs. 1 ZGB auszunehmen. Mithin ist grundsätzlich auf den ursprünglichen Zustand der Quelle abzustellen und nicht auf die Veränderung, die sich durch den von Menschenhand geführten Eingriff ergeben hat. Dies muss erst recht gelten, wenn dieser Eingriff – wie hier – nicht durch die Grundeigentümer selbst veranlasst bzw. vorgenommen wurde.» (E.4.3).

Das Bundesgericht kommt zur folgenden Schlussfolgerung und qualifiziert die Quelle als Privatquelle im Sinne von Art. 704 Abs. 1 ZGB:

«Festzuhalten bleibt demnach, dass die Quelle „E.“ gerade nicht die Mächtigkeit und Stetigkeit besass, sich ein Bett mit festen Ufern zu schaffen, und nicht von Anfang an einen Wasserlauf bildete. Die Quelle ist eine Privatquelle im Sinn von Art. 704 Abs. 1 ZGB.  Ob die Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 711 Abs. 1 ZGB die Abtretung des Wassers verlangen kann, ist nicht Streitgegenstand, weshalb sich diesbezügliche Weiterungen erübrigen.» (E.4.4).

 

 

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