Keine Verletzung vom Grundsatz der Verfahrenseinheit

Das Bundesgericht behandelt im Urteil 1B_524/2020 vom 28. Dezember 2020 das wichtige Thema der Verfahrenstrennung. Das Bundesgericht äusserte sich generell-abstrakt zwar, dass Straftaten werden gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn Mittäterschaft oder Teilnahme (Anstiftung oder Gehilfenschaft) vorliegt (Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO) (E.2.3.). Im vorliegenden Fall, wo es um sexuelle Nötigung und weitere Delikte durch zwei Männer an der derselben Frau in unterschiedlichen Zeitpunkten in der gleichen Nacht geht, nahm das Bundesgericht aber keinen Fall der Mittäterschaft oder Teilnahme an. Gegen die Verfahrenstrennung sprach für das Bundesgericht auch nicht, dass sich zwei gegen dieselbe Person gerichtete Taten am selben Ort und in derselben Nacht ereignen, oder dass in beiden Verfahren die Aussagen der Geschädigten auf ihre Glaubhaftigkeit zu prüfen sind (E.2.4.).

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führt ein Strafverfahren gegen A. wegen Schändung und weiterer Delikte und gegen B. wegen sexueller Nötigung und weiterer Delikte. B. soll anlässlich einer Party in einer Privatwohnung in U. in der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober 2017 zwischen ca. 22:30 Uhr und 2:00 Uhr ein Zimmer betreten haben, in dem die Geschädigte C. nackt unter einer Decke gelegen habe. Er soll die Tür geschlossen, der Geschädigten die Decke bis unter die Brüste weggezogen und versucht haben, sie zum Geschlechtsverkehr oder zur Vornahme anderer sexueller Handlungen zu drängen. A. soll in der gleichen Nacht zwischen ca. 23:30 Uhr und 5:00 Uhr, im Nachgang zum erwähnten Vorfall, ebenfalls jenes Zimmer betreten haben. Dort sei die Geschädigte im Begriff gewesen, mit einer Drittperson einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Er soll der Geschädigten, die mit geschlossenen Augen auf dem Rücken gelegen habe, seinen Penis in den Mund oder zumindest auf die Lippen gelegt haben. Die weiteren A. und B. vorgeworfenen Delikte stehen mit diesen Vorfällen nicht im Zusammenhang.

Die beiden Strafverfahren wurden zunächst zusammen geführt. Mit Verfügung vom 17. April 2020 trennte sie die Staatsanwaltschaft. Zur Begründung hielt sie im Wesentlichen fest, die Untersuchung habe gezeigt, dass es sich um zwei voneinander unabhängige Lebenssachverhalte handle, weshalb keine Gefahr widersprüchlicher Urteile bestünde und damit keine gemeinsame Verfahrensführung angezeigt sei. Mit A. sei zudem bereits die Schlusseinvernahme durchgeführt worden, während bei B noch weitere Untersuchungshandlungen notwendig seien.

Verfahren Vorinstanz

Eine von A. gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 4. September 2020 ab.

Verfahren vor Bundesgericht im Urteil 1B_524/2020 vom 28. Dezember 2020

Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 8. Oktober 2020 beantragt A., der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. B. hat sich vernehmen lassen, ohne in der Sache einen Antrag zu stellen.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1B_524/2020 vom 28. Dezember 2020

Das Bundesgericht führt Folgendes aus: «Straftaten werden gemeinsam verfolgt und beurteilt, wenn Mittäterschaft oder Teilnahme (Anstiftung oder Gehilfenschaft) vorliegt (Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO). Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte können aus sachlichen Gründen Strafverfahren trennen oder vereinen (Art. 30 StPO). Der in Art. 29 StPO verankerte Grundsatz der Verfahrenseinheit bezweckt die Verhinderung sich widersprechender Urteile, sei dies bei der Sachverhaltsfeststellung, der rechtlichen Würdigung oder der Strafzumessung. Er gewährleistet somit das Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 BV). Überdies dient er der Prozessökonomie. Eine Verfahrenstrennung ist gemäss Art. 30 StPO nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig und muss die Ausnahme bleiben. Die sachlichen Gründe müssen objektiv sein. Die Verfahrenstrennung soll dabei vor allem der Verfahrensbeschleunigung dienen bzw. eine unnötige Verzögerung vermeiden helfen (BGE 138 IV 214 E. 3.2 S. 219; Urteil 1B_553/2018 vom 20. Februar 2019 E. 2.1; je mit Hinweisen).» (E.2.3.).

Weiter nimmt das Bundesgericht Stellung: «Im Begriff der „Mittäterschaft“ gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO ist auch die Nebentäterschaft eingeschlossen (BGE 138 IV 29 E. 3.2 S. 31 mit Hinweisen). Sie liegt vor, wenn verschiedene Personen unabhängig voneinander den Eintritt desselben tatbestandsmässigen Erfolgs bewirken (Urteil 1B_467/2016 vom 16. Mai 2017 E. 4.5 mit Hinweisen). Von demselben tatbestandsmässigen Erfolg lässt sich gestützt auf die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen im hier zu beurteilenden Fall jedoch nicht sprechen. Vielmehr soll die Geschädigte danach gemäss dem Tatvorwurf nicht nur durch unabhängig voneinander handelnde Täter, sondern auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein. Es handelt sich mithin nicht um einen Anwendungsfall von Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO. Dass ein sachlicher Grund gemäss Art. 30 StPO bestünde, der eine Verfahrensvereinigung erforderlich machen würde, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Ein solcher besteht namentlich, wenn sich Beteiligte gegenseitig Straftaten vorwerfen, die sie im Rahmen der gleichen Auseinandersetzung begangen haben sollen (BGE 138 IV 29 E. 5.5 S. 34 mit Hinweisen). Der blosse Umstand, dass sich zwei gegen dieselbe Person gerichtete Taten am selben Ort und in derselben Nacht ereignen, reicht dafür nicht. Ebensowenig genügt, dass in beiden Verfahren die Aussagen der Geschädigten auf ihre Glaubhaftigkeit zu prüfen sind. Wenn die Staatsanwaltschaft die Verfahren trennte, weil sich im Laufe der Untersuchung gezeigt habe, dass es sich um zwei voneinander unabhängige Lebenssachverhalte handle, ist dies somit nicht zu beanstanden. Für eine Verfahrenstrennung spricht vor diesem Hintergrund auch das Beschleunigungsgebot, da die Untersuchung gegen den Beschwerdeführer abgeschlossen ist, nicht aber diejenige gegen den zweiten Beschuldigten. Die Kritik des Beschwerdeführers ist somit unbegründet.» (E.2.4.).

Die Beschwerde wurde mithin durch das Bundesgericht abgewiesen.

Kommentare (0)

Wir verwenden Cookies, um unsere Website und Ihr Navigationserlebnis zu verbessern. Wenn Sie Ihren Besuch auf der Website fortsetzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie hier.

Akzeptieren