Vorübergehende Maskentragpflicht ab 5. Primarschuljahr im Kanton Bern rechtmässig

Bundesgericht weist in den Urteilen 2C_183/2021, 2C_228/2021 vom 23. November 2021 die Beschwerden gegen die im Kanton Bern ab dem 10. Februar 2021 vorübergehend geltende Pflicht zum Maskentragen für Schüler ab dem 5. Primarschuljahr ab. Die Massnahme kann sich gemäss Bundesgericht auf eine ausreichende gesetzliche Grundlage stützen und war sowohl gerechtfertigt als auch verhältnismässig.

Der Regierungsrat des Kantons Bern hatte am 3. Februar 2021 per 10. Februar 2021 die Maskentragpflicht auf die Schülerinnen und Schüler im fünften und sechsten Schuljahr der Primarstufe erweitert. Die Massnahme war zunächst bis zum 23. Februar 2021 befristet und wurde dann wiederholt verlängert.

Gegen die entsprechende Änderung von Artikel 10 der Berner Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (für die befristete Geltungsdauer der Massnahme seit ihrem Erlass bis zum 23. Februar 2021) und zwei damit zusammenhängende Änderungen der Verordnung erhoben mehrere Personen Beschwerde ans Bundesgericht.

Urteile des Bundesgerichts 2C_183/2021, 2C_228/2021 vom 23. November 2021

Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.

Betreffend gesetzliche Grundlage hat das Bundesgericht im Entscheid 2C_793/2020 festgehalten, dass mit Artikel 40 des Epidemiengesetzes eine ausreichende gesetzliche Grundlage besteht für eine kantonal vorübergehend angeordnete Maskenpflicht in Einkaufsläden, die über die bundesrätlich angeordneten Massnahmen hinausgeht. Für die Ausdehnung der Maskentragpflicht in Schulen kann nichts anderes gelten, zumal sie ein milderes Mittel als eine Schulschliessung darstellt.

Zur Verhältnismässigkeit im Allgemeinen von kantonalen Massnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus hat sich das Bundesgericht bereits in früheren Entscheiden geäussert. Demnach ist jeweils nach dem akzeptablen Risiko zu fragen und eine Abwägung zwischen den involvierten Interessen vorzunehmen. Es ist dabei nicht in erster Linie die Sache der Gerichte, sondern des Verordnungsgebers, das akzeptable Risiko festzulegen.

Bezüglich der künftigen Wirkung einer Massnahme gegen neu auftretende Infektionskrankheiten kann der Natur der Sache nach eine gewisse Unsicherheit bestehen. Massnahmen müssen insofern aufgrund des jeweils aktuellen Wissensstandes getroffen werden. Dies bedingt eine Anpassung der Massnahmen mit fortschreitendem Wissensstand. Eine Massnahme kann aber nicht schon deshalb als unrechtmässig betrachtet werden, weil sie rückblickend allenfalls nicht als optimal erscheint.

Insgesamt muss den politisch verantwortlichen Behörden deshalb beim Erlass von Corona-Massnahmen ein relativ bedeutender Beurteilungsspielraum zugestanden werden. In Bezug auf die vorliegend angefochtene Maskentragpflicht im Besonderen ist davon auszugehen, dass auch an Schulen ein gewisses Risiko der Verbreitung von Coronaviren besteht. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Kinder, sondern auch auf Lehrkräfte, Eltern und andere Kontaktpersonen. Die Verwendung von Masken trägt grundsätzlich dazu bei, die Verbreitung von Viren zu begrenzen, auch wenn konkrete Angaben oder Abschätzungen dazu fehlen, wie stark das Ansteckungsrisiko dadurch reduziert wird.

Im Vergleich mit der vom Bundesgericht bereits als verhältnismässig beurteilten Maskenpflicht in Einkaufsläden ist die Maskenpflicht in Schulen von wesentlich stärkerer Intensität. Auch ist die zwischenmenschliche Kommunikation in der Schule von grösserer Bedeutung. Nicht ausgeschlossen werden kann zudem, dass der Lernerfolg mit dem Tragen einer Gesichtsmaske in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Allerdings ist die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Schädlichkeit des Maskentragens jedenfalls in physischer Hinsicht nicht erstellt. Den von ihnen angeführten Beweismitteln können zwar gewisse Hinweise auf nachteilige Auswirkungen entnommen werden. Aufgrund der vorgelegten Studien ist aber nicht hinreichend wissenschaftlich belegt, dass das Maskentragen bei Kindern effektiv gesundheitliche Schäden mit Krankheitswert verursachen würde. Zudem bestand gemäss Verordnung die Möglichkeit eines Maskendispenses, insbesondere aus gesundheitlichen Gründen.

Im massgebenden Zeitraum zu Beginn des Jahres 2021 bestanden Unsicherheiten über die Auswirkungen der Mutationen des Virus, insbesondere ob die neue Mutation für Kinder gefährlicher sein könnte. Sowohl das Bundesamt für Gesundheit als auch die Swiss National COVID-19 Science Task Force rechneten zur damaligen Zeit mit einer höheren Ansteckungsrate.

Zu Beginn des Jahres 2021 wurden mehrere Schulen im Kanton Bern wegen des Coronavirus geschlossen. Es bestand Anlass, dies wenn möglich in Zukunft zu vermeiden. An der Durchführung von Präsenzunterricht bestand ein hohes öffentliches Interesse, unter anderem wegen der sozialen Interaktionen und den Herausforderungen hinsichtlich der Bildungsgerechtigkeit und der Chancengleichheit bei Fernunterricht. Insgesamt war die Massnahme für die fragliche Zeitdauer gerechtfertigt und verhältnismässig.

Hier sind einige der Kernausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_183/2021 vom 23. November 2021:

«Mit Blick auf die Erforderlichkeit ist zunächst festzuhalten, dass gemessen an den Fallzahlen die Entwicklung der Pandemie im Januar und Februar 2021 nicht auf eine Verschärfung der Lage hindeutete. Indessen bestanden im hier massgebenden Zeitpunkt verschiedene Unsicherheiten betreffend neu auftretende Virusmutationen. Unklar war insbesondere, ob diese ansteckender und auch für Kinder gefährlicher sein könnten. Vor diesem Hintergrund erscheint das Ergreifen zusätzlicher Massnahmen durch den Kanton als gerechtfertigt (vgl. E. 3.8 hiervor).  Sodann ist unbestritten, dass im Januar und zu Beginn des Februars 2021 mehrere Schulen im Kanton Bern wegen Quarantänen geschlossen wurden. Zwar ist nicht völlig klar, ob diese Schliessungen zwingend waren: Der Kanton verweist darauf, der Bund habe die Quarantäne-Vorschriften verschärft, während die Beschwerdeführerin vorbringt, der Kanton habe die vom Bund vorgegebenen Kriterien verschärft. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Schulen wegen der epidemiologischen Situation geschlossen wurden, so dass Anlass bestand, dies wenn möglich in Zukunft zu vermeiden. Besonders zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass mit Blick auf den verfassungsmässigen Anspruch auf Grundschulunterricht (Art. 19 BV) und die grosse Bedeutung sozialer Interaktionen für die Entwicklung der Kinder ein hohes öffentliches Interesse daran besteht, dass der Unterricht nach Möglichkeit als Präsenzunterricht stattfindet. Vor diesem Hintergrund stellt die Pflicht, eine Gesichtsmaske zu tragen, ein milderes Mittel als Schulschliessungen dar (vgl. auch Urteil 2C_228/2021 vom 23. November 2021 E. 6.3). Schliesslich ist mit Bezug auf die Erforderlichkeit zu berücksichtigen, dass die Maskenpflicht auch dem Schutz Dritter dient, namentlich der Lehrkräfte, unter denen sich auch Risikopersonen befinden können.» (E.7.3).

Das Bundesgericht führt weiter aus: «Es kann somit festgehalten werden, dass die Massnahme, die Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet (vgl. E. 1.4 hiervor), bis zum 23. Februar 2021 befristet wurde. Der Kanton hat nachvollziehbar begründet, weshalb er angesichts der damaligen Situation mit den erfolgten Schulschliessungen und dem Auftreten neuer Virusmutationen die Maskenpflicht angeordnet hat. Angesichts der im Januar und Anfangs Februar bestehenden Unsicherheiten über die Gefährlichkeit der neuen Virusvarianten und mit Blick auf das Ermessen, das den Behörden zukommt (vgl. E. 5.4 und 5.7 hiervor), war die Massnahme gerechtfertigt und verhältnismässig. Dadurch konnte sowohl dem öffentlichen Interesse am Schutz der Gesundheit als auch den Interessen der Kinder an der Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts Rechnung getragen werden. Es kann sich nämlich rechtfertigen, bei einer unbekannten Situation vorerst einschneidendere Massnahmen anzuordnen, um zu verhindern, dass sich eine unkontrollierte Situation entwickelt, die in der Folge mit noch gravierenderen Einschränkungen behoben werden müsste. Daher kann auch eine potenziell überschiessende Massnahme in solchen Situationen kurzfristig zulässig sein; sie müsste jedoch umso dringender regelmässig auf ihre Berechtigung hin überprüft werden (Art. 40 Abs. 3 EpG; vgl. auch E. 5.3-5.6 hiervor; Urteile 2C_308/2021 vom 3. September 2021 E. 6.6.1; 2C_290/2021 vom 3. September 2021 E. 5.5.1; 2C_941/2020 vom 8. Juli 2021 E. 3.2.7; jeweils zur Publikation vorgesehen), und zwar in umso kürzeren Abständen, je gravierender die Massnahme ist. Es wäre ein unzulässiger Rückschaufehler, die angefochtene Bestimmung bereits deswegen als rechtswidrig zu bezeichnen, weil in der Folge die befürchteten Entwicklungen nicht eingetreten sind.» (E.7.4).

Kommentare (0)

Wir verwenden Cookies, um unsere Website und Ihr Navigationserlebnis zu verbessern. Wenn Sie Ihren Besuch auf der Website fortsetzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie hier.

Akzeptieren