Sprachnachweis für Einbürgerung durch Maturitätsnote

Der Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse für die Einbürgerung kann auch mit einer genügenden Maturitätsnote in der massgeblichen Sprache erbracht werden. Das Bundesgericht heisst im Urteil 1D_4/2021 vom 8. März 2022 die Beschwerde einer Frau aus dem Kanton Bern gut.

Sachverhalt

Die im Jahr 2000 geborene Beschwerdeführerin stellte 2018 bei der Einwohnergemeinde Thun ein Gesuch um Einbürgerung. Die Behörden ersuchten sie darum, zum Nachweis ausreichender Sprachkompetenzen in Deutsch eine Sprachstandanalyse des geforderten Niveaus einer anerkannten Sprachschule einzureichen. Die Frau französischer Muttersprache übermittelte den Behörden in der Folge ihr Maturitätszeugnis eines französischsprachigen Berner Gymnasiums, das ihr im Fach Deutsch die genügende Note 4 bescheinigte. Der Gemeinderat Thun trat auf ihr Einbürgerungsgesuch nicht ein, da sie keinen Nachweis einer anerkannten Sprachschule erbracht habe.

Entscheid der Vorinstanz

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies ihre Beschwerde 2021 ab.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1D_4/2021 vom 8. März 2022

Das Bundesgericht heisst ihre Beschwerde gut und weist die Sache zur Fortsetzung des Einbürgerungsverfahrens unter Anerkennung der Maturitätsnote als Sprachnachweis zurück an die Einwohnergemeinde Thun.

Das bernische Recht setzt für die Einbürgerung Kenntnisse in der Amtssprache des entsprechenden Verwaltungskreises voraus. Das ist in Thun Deutsch. Verlangt werden Sprachkompetenzen auf dem Niveau B1 (mündlich) und A2 (schriftlich) des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Zum Nachweis der Sprachkompetenz hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) zusammen mit Expertinnen und Experten das Sprachfördersystem „fide“ entwickelt. Die bernische Bürgerrechtsverordnung verlangt zum Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse einen solchen vom SEM anerkannten Sprachnachweis.

Zu beachten ist allerdings, dass das Bundesrecht keine Anerkennung von Sprachnachweisen durch die Eidgenossenschaft vorsieht. Zwar erscheint das Vorgehen des SEM sinnvoll, einzelne Sprachnachweise unter bestimmten Vorgaben anzuerkennen. Es wäre aber willkürlich, von vornherein keine anderen Nachweise zuzulassen.

Eine Nichtanerkennung der genügenden Maturitätsnote wäre zudem willkürlich und würde gegen die Rechtsgleichheit verstossen. Die im Rahmen einer Maturität geforderten Sprachkenntnisse werden gleich wie im fide-System anhand des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen definiert; bei Deutsch als Zweitsprache gilt für die Maturität im Kanton Bern sogar ein höheres Bildungsziel als es beim Sprachniveau für die Einbürgerung verlangt wird. Zu beachten ist weiter, dass die Maturität und damit auch deren Prüfungsergebnisse vom Bund anerkannt werden. Schliesslich erwarb die Betroffene ihr Maturitätszeugnis nur drei Tage vor Einreichung ihres Einbürgerungsgesuchs, weshalb auch seine Aktualität nicht in Frage steht.

Hier ist die Schlüsselausführung des Bundesgerichts im Urteil 1D_4/2021 vom 8. März 2022

«Insgesamt erweist es sich demnach als dem Gesetzeszweck klar zuwiderlaufend, innerhalb der Rechtsordnung widersprüchlich, unsachlich und stossend, die im Maturitätsausweis der Beschwerdeführerin bescheinigte Note 4 für Deutsch nicht als ausreichenden Sprachnachweis für die ordentliche Einbürgerung anzuerkennen. Aufgrund der gleichen Zusammenhänge ist die unterschiedliche Berücksichtigung von durch die fide validierten oder akzeptierten Bescheinigungen einerseits und schweizerisch anerkannten Maturitätsausweisen andererseits rechtsungleich. Überdies ist es überspitzt formalistisch, auf einer von fide akzeptierten Bescheinigung oder einer Validierung durch fide zu beharren, nachdem die Beschwerdeführerin mit dem eingereichten Maturazeugnis bereits einen genügenden Sprachnachweis geleistet hat. Der angefochtene Entscheid verstösst mithin gegen Verfassungsrecht.» (E.5.11)

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