Keine Rückzahlungspflicht für WEF-Vorbezug bei späterer Vermietung

Die Vermietung eines Wohnobjekts, das mit vorbezogenen Mitteln aus der beruflichen Vorsorge finanziert wurde, führt nicht zwangsläufig zu einer Rückzahlungspflicht gegenüber der Pensionskasse, wie das Bundesgericht im Urteil 9C_293/2020 vom 1. Juli 2021 festhält. Dabei setzte sich das Bundesgericht detailliert mit der Auslegung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen auseinander.

Das Bundesgericht verneint im Urteil 9C_293/2020 vom 1. Juli 2021 die Rückzahlungspflicht im Fall einer Eigentümerin, die ihre Wohnung nach jahrelanger Eigennutzung unbefristet und mit beidseitiger Kündigungsfrist von drei Monaten vermietet hat.

Sachverhalt

Die Frau hatte im Jahr 2003 CHF 60’000 von ihrem Pensionskassen-Guthaben zum Kauf einer Viereinhalbzimmer-Wohnung vorbezogen (Vorbezug für Wohneigentumsförderung, WEF-Vorbezug). Diese bewohnte sie bis 2016 selber, dann zog sie zu ihrem Partner und vermietete die Wohnung unbefristet und mit einem beidseitigen Kündigungsrecht unter Einhaltung einer Frist von 3 Monaten.

Die Pensionskasse klagte auf Rückzahlung des Vorbezugs, weil die gesetzliche Voraussetzung des ausschliesslichen Eigenbedarfs nicht mehr gegeben sei.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Klage 2020 ab.

Urteil des Bundesgerichts 9C_293/2020 vom 1. Juli 2021

Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene Beschwerde der Pensionskasse ab.

Zur Rückzahlung des WEF-Vorbezugs ist eine versicherte Person gemäss Artikel 30d des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) unter anderem dann verpflichtet, wenn sie Dritten Rechte am Wohneigentum einräumt, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen. Fest steht zunächst, dass die Wohnung beim Erwerb 2003 dem Eigenbedarf diente und der WEF-Vorbezug damit zu Recht erfolgte. Eine umfassende Auslegung der fraglichen Bestimmung durch das Bundesgericht ergibt, dass die Vermietung aufgrund eines Vertrages, welche das Wohneigentum weder verändert noch belastet, wirtschaftlich nicht mit einer Veräusserung vergleichbar ist. Den Gesetzesmaterialien zur Bestimmung ist sodann kein eindeutiger Anhaltspunkt zu entnehmen, dass damit die Vermietung des Wohneigentums erfasst werden sollte. Mit Blick auf den Zweck der Regelung ist zu beachten, dass die Mittel der beruflichen Vorsorge bei einer Vermietung gebunden bleiben; soweit der Mietvertrag wie im vorliegenden Fall unbefristet abgeschlossen wurde und unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten beidseitig kündbar ist, erhält der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses die Nutzung der Liegenschaft zum Eigenbedarf zurück. Zweckwidrig wäre es, wenn der Vorbezug von Anfang an mit Blick auf eine gewinnbringende Investition getätigt worden wäre. Das ist hier aber, wie das Bundesgericht betont, nicht der Fall, da die Eigentümerin ihre Wohnung erst nach Jahren eigener Nutzung vermietet hat.

Schauen wir uns nun die Begründung des Urteils 9C_293/2020 vom 1. Juli 2021 genauer an:

Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung bildet gemäss dem Bundesgericht der Wortlaut einer Bestimmung (grammatikalisches Element). Ist dieser klar, d.h. eindeutig und unmissverständlich, so darf davon nur abgewichen werden, wenn ein triftiger Grund für die Annahme besteht, der Wortlaut ziele am „wahren Sinn“ – am Rechtssinn – der Regelung vorbei (E.4.1).

Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG sieht vor, dass der bezogene Betrag vom Versicherten oder von seinen Erben an die Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt werden muss, wenn Rechte am Wohneigentum eingeräumt werden, die wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen („[…] équivalant économiquement à une aliénation“, „[…] economicamente equivalenti ad un’alienazione“), fährt das Bundesgericht weiter (E.4.2.1).

Dazu das Bundesgericht: «Aus grammatikalischer Sicht entscheidet (auch in der französisch- und italienischsprachigen Version) ein ökonomischer Blickwinkel („wirtschaftlich“, „économiquement“, „economicamente“) darüber, ob das eingeräumte Recht am mit Mitteln der beruflichen Vorsorge finanzierten Wohneigentum eine Rückzahlungspflicht auslöst oder nicht. Davon betroffen sind nach dem Wortlaut des Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG Rechte, die zwar nicht den Verlust des Wohneigentums zur Folge haben (vgl. Art. 30d Abs. 1 lit. a BVG), aber zumindest eine so erhebliche (wirtschaftliche) Belastung desselben bedeuten, dass sie mit einer Veräusserung gleichgesetzt werden können. Dies trifft insbesondere für die Einräumung beschränkter dinglicher Rechte zu (vgl. E. 3.2 in fine). Demgegenüber stellt eine Vermietung nach Art. 253 OR, wie sie hier zur Diskussion steht, lediglich die Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung (Zur-Verfügung-Stellung) gegen Entgelt dar (dazu: HIGI/BÜHLMANN, in: Zürcher Kommentar, 5. Aufl. 2019, N. 5 ff. zu Art. 253 OR; CLAIRE HUGUENIN, Obligationenrecht – Allgemeiner und Besonderer Teil, 3. Aufl. 2019, S. 880). Das von der Beschwerdegegnerin im Jahr 2016 eingegangene Mietverhältnis ist nach verbindlicher (E. 1) Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts weder im Grundbuch vorgemerkt (Art. 261b OR), noch besteht eine vertragliche Abrede, welche die nachträgliche Grundbuchanmeldung erlaubte. Folglich handelt es sich um eine faktische Aufgabe der persönlichen Nutzung aufgrund eines obligationenrechtlichen Vertrags, welche das Wohneigentum weder ändert noch (dinglich) belastet und daher wirtschaftlich nicht mit einer Veräusserung vergleichbar ist (vgl. MARKUS MOSER, Wohneigentum als Vorsorge: Die Anforderungen an das Wohneigentum, den/die Bezüger/-in und die Vorsorgeeinrichtung [nachfolgend: Wohneigentum als Vorsorge], in: Freiburger Sozialrechtstage 2014, S. 21 f.; DERSELBE, in: Basler Kommentar, Berufliche Vorsorge, 2021, N. 12 zu Art. 30d BVG; FELIX SCHÖBI, Die Wohneigentumsförderung mit den Mitteln der beruflichen Vorsorge, recht 1995, S. 50).» (E.4.2.2)

In der Folge befasste sich das Bundesgericht auch vertieft mit den Materialen (E.4.3.1 ff.) und kommt zu folgender Schlussfolgerung: «Demnach ergibt sich aus den Materialien zwar, dass der Passus „die Selbstnutzung aufgeben“ aufgrund einer an sich falschen Auskunft der Verwaltung entfallen war. Es gibt aber Hinweise, dass dies, gerade was die Vermietung des Wohneigentums betrifft, von den Kommissionsmitgliedern zumindest bewusst in Kauf genommen wurde (so auch: SCHÖBI, a.a.O. S. 49). Der Kommissionsberatung ist diesbezüglich etwa zu entnehmen, dass nicht ausschlaggebend sei, wer das Wohneigentum bewohnt. Bestätigt wurde vielmehr, dass es um den gebundenen Wert (des bezogenen Vorsorgekapitals) gehe und die Möglichkeit, ihn allenfalls zu versilbern, wenn die Vorsorge sonst nicht ausreiche (SGK-Protokoll der Sitzung vom 25. Januar 1993, S. 11). Dementsprechend blieb die Vermietung des Wohneigentums in der Kommissionsdebatte als „Recht, das wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommt“ unerwähnt, wohingegen das Wohnrecht (Art. 776-778 ZGB) eindeutig als solches bezeichnet wurde. Die Kommission wollte nach eigenen Angaben Geschäftsabschlüsse vermeiden, die letztlich auf eine Veräusserung hinauslaufen, beispielsweise die Einräumung einer lebenslänglichen Nutzniessung oder eines Baurechts an eine Drittperson (SGK-Protokoll vom 18. Januar 1993, S. 10). Mit anderen Worten waren die Mitglieder der Ansicht, dass auch andere beschränkte dingliche Rechte (Nutzniessung, Art. 745 ff. ZGB; Baurecht, Art. 779 ff. ZGB) wirtschaftlich einer Veräusserung gleichkommen. Ein eindeutiger Anhaltspunkt, dass die Vermietung des mit Mitteln der beruflichen Vorsorge erworbenen Wohneigentums darunter fallen sollte, fehlt hingegen (MOSER, Wohneigentum als Vorsorge, S. 22; DERSELBE, in: Basler Kommentar, Berufliche Vorsorge, 2021, N. 12 zu Art. 30d BVG). Insoweit ist der Wille des Gesetzgebers erkennbar, dass der Abschluss eines Mietvertrags keinen vergleichbaren Eingriff in das Wohneigentum darstellt, weil damit keine dingliche Belastung des Eigentumsrechts einhergeht. Dies gilt umso mehr, als die Anmerkung einer Veräusserungsbeschränkung im Grundbuch zu Sicherungszwecken, wie sie die Verwaltung angeregt hatte (E. 4.3.1), bei einer Vermietung des Wohneigentums keinen Sinn ergibt. Denn diese erfolgt – wie hier – in der Regel ausserbuchlich, sodass weder die Grundbuchverwaltung noch die Vorsorgeeinrichtung davon erfahren (SCHÖBI, a.a.O., S. 49).» (E.4.3.3).

Sodann ist aus teleologischer Warte für das Bundesgericht entscheidend, dass mit dem Vorbezug für Wohneigentum der vorbezogene Betrag und damit das erworbene Eigentum aus dem Vorsorgeguthaben herausfällt (BGE 124 III 211 E. 2). Um trotzdem den Vorsorgezweck sicherzustellen, darf der Vorbezug einzig der Beschaffung von Wohneigentum zum Eigenbedarf dienen (Art. 30c Abs. 1 BVG; Art. 331e Abs. 1 OR; Art. 1-4 WEFV). Dies stellt eine Form der Altersvorsorge dar. Art. 30d Abs. 1 BVG zielt darauf ab, diese Zweckbindung zu erhalten, indem der bezogene Betrag bei einer Veräusserung des Wohneigentums (respektive den in lit. b und c vorgesehenen, gleich bewerteten Fällen) an die Vorsorgeeinrichtung zurückbezahlt werden müssen, wobei die Rückzahlungsverpflichtung nach Art. 30e BVG grundbuchlich sichergestellt wird (BGE 132 V 332 E. 4.1 mit Hinweisen). «Wird das Wohneigentum nicht veräussert oder belastet, sondern nur vermietet (faktische Aufgabe der Eigennutzung), so sind die Mittel der beruflichen Vorsorge darin nach wie vor gebunden. Nach Beendigung des Mietverhältnisses, soweit dieses wie hier unbefristet und beidseitig kündbar ist (vgl. Art. 266a Abs. 1 OR), erhält der Vermieter die Nutzung der Liegenschaft zum Eigenbedarf zurück. Dabei entspricht die während der Mietdauer periodisch zu bezahlende Miete nicht dem Betrag, welcher der zweiten Säule entnommen wurde. Eine allfällige Umwandlung des WEF-Vorbezugs in ein frei verfügbares, von der zweiten Säule unabhängiges Guthaben – und damit auch eine Rückzahlung – ist folglich ausgeschlossen. Dass die versicherte Person – wie die Beschwerdeführerin geltend macht – frei ist, einen allfälligen Mietzins nach eigenem Gutdünken zu verwenden, ändert an der bei der Vermietung unangetasteten Zweckbindung nichts. Anders, nämlich als erschlichen (dazu: SCHÖBI, a.a.O. S. 51), wäre ein Vorbezug dann zu bewerten, wenn dieser von allem Anfang an einzig eine Gewinn orientierte Investition im Blick hätte. Dies liefe dem Zweck des Vorbezugs an sich zuwider und hätte deshalb eine Rückzahlung bzw. Rückabwicklung zur Folge. Indessen ist weder ersichtlich noch in der Beschwerde (substanziiert) dargelegt, inwieweit es sich hier so verhalten sollte. Vielmehr vermietete die Beschwerdegegnerin, wie die Vorinstanz willkürfrei (E. 1) festgestellt hat, ihre Eigentumswohnung erst nach Jahren (nämlich: von 2003 bis 2016) eigener Nutzung. Im März 2016 wurde, wie erwähnt, ein unbefristetes, allerdings unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten beidseitig kündbares Mietverhältnis (Mietzins inkl. Nebenkosten: Fr. 1850.- monatlich) abgeschlossen. Damit fällt – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – ausser Betracht, dass die Beschwerdegegnerin die Liegenschaft vermietet hätte, „ohne je auch nur einen Tag dort gelebt zu haben“.»(E.4.4)

Auch in systematischer Hinsicht sind die Voraussetzungen für den Bezug und für die Rückzahlung gemäss dem Bundesgericht zu unterscheiden. Art. 30c Abs. 1 BVG nennt als zulässigen Verwendungszweck für den WEF-Vorbezug „Wohneigentum zum eigenen Bedarf“. Art. 4 Abs. 1 WEFV definiert den Eigenbedarf näher. Demnach gilt als solcher die Nutzung durch die versicherte Person an ihrem Wohnsitz oder an ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Weist die versicherte Person nach, dass die Nutzung vorübergehend nicht möglich ist, so ist die Vermietung während dieser Zeit zulässig (Abs. 2). Indessen ist Art. 4 WEFV – anders als die Beschwerdeführerin meint – zur Rückzahlung nichts zu entnehmen. Die Bestimmung sieht, wie das Bundesgericht betont, insbesondere nicht vor, dass im Umkehrschluss zu Art. 30c Abs. 1 BVG eine Rückzahlung zu erfolgen hätte, wenn der Eigenbedarf nicht oder nicht mehr vorliegt. Ein Bezug zu Art. 30d Abs. 1 lit. b BVG fehlt (SCHÖBI, a.a.O., S. 49). (E.4.5.1). Eine Parallelität besteht gemäss dem Bundesgericht hingegen zu Art. 30c Abs. 3 BVG, wonach der oder die Versicherte den Vorbezug auch für den Erwerb von Anteilscheinen einer Wohnbaugenossenschaft oder ähnlicher Beteiligungen verwenden kann, wenn er oder sie eine dadurch mitfinanzierte Wohnung selber nutzt. Gemäss Art. 16 Abs. 1 WEFV muss das Reglement der Wohnbaugenossenschaft vorsehen, dass die von der versicherten Person für den Erwerb von Anteilscheinen einbezahlten Vorsorgegelder bei Austritt aus der Genossenschaft entweder einer anderen Wohnbaugenossenschaft oder einem anderen Wohnbauträger, von dem die versicherte Person eine Wohnung selber benutzt, oder einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge überwiesen werden. Folglich ist eine Rückzahlung nur dann zu leisten, wenn das Genossenschafts- oder Beteiligungsverhältnis („bei Austritt aus der Genossenschaft“) betroffen ist (MOSER, Wohneigentum als Vorsorge, S. 23; DERSELBE, in: Basler Kommentar, Berufliche Vorsorge, 2021, N. 13 zu Art. 30d BVG; vgl. auch HANS-ULRICH STAUFFER, Kommentar zum Schweizerischen Sozialversicherungsrecht, BVG und FZG, 2. Aufl. 2019, N. 33 zu Art. 30b BVG). Weil dies bei einer (Unter-) Vermietung nicht zutrifft, bleibt sie im Zusammenhang mit der Rückerstattung irrelevant, obschon der Vorbezug – wie beim Erwerb von Wohneigentum mit Mitteln der beruflichen Vorsorge – explizit voraussetzt, dass eine durch den Kauf von Anteilscheinen an einer Wohngenossenschaft oder ähnlicher Beteiligungen mitfinanzierte Wohnung selber benutzt wird (Art. 30c Abs. 3 BVG). Der in der Beschwerde vertretene Umkehrschluss ist folglich (auch) in diesem Zusammenhang gemäss dem Bundesgericht nicht zulässig. (E.4.5.2).

Mithin folgert das Bundesgericht: «Der angefochtene Entscheid verletzt kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist unbegründet und daher abzuweisen.» (E.6).

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