Keine Impfpflicht durch Arbeitgeberweisung

Das Kreisgericht St. Gallen urteilte am 6. Januar 2022, dass ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmerin nicht über das Weisungsrecht zu Impfungen anhalten und sein Weisungsrecht nicht in diskriminierender Weise ausüben darf. Das Kreisgericht St. Gallen entschied, dass die durch den Arbeitgeber via Weisungsrecht ausgesprochene Kündigung missbräuchlich war.

Sachverhalt

Eine im Pflegebereich tätige Arbeitnehmerin wurde vom Arbeitgeber bei Stellenantritt aufgefordert, verschiedene Impfungen durchzuführen. Die Impfaufforderung rechtfertigte der Arbeitgeber mit einem angeblich intern fürs Pflegepersonal geltenden Impfobligatorium. Als sich diese weigerte, wurde ihr in der Probezeit gekündigt. Die als Pflegefachfrau tätige Arbeitnehmerin war nicht bereit, über Hepatitis-B hinausgehende Impfungen vorzunehmen. Im November 2017 beendete der Arbeitgeber (Spital im Kanton St. Gallen) das Arbeitsverhältnis, da sich die Arbeitnehmerin trotz Aufforderung weigerte, verschiedene Impfungen durchzuführen. Die Arbeitnehmerin klagte daraufhin die Missbräuchlichkeit der Kündigung ein.

Ausführung aus dem Urteil des Kreisgerichts St. Gallen vom 6. Januar 2022

Das Urteil des Kreisgerichts St. Gallen führt aus: «Dass die Statuierung einer Impfpflicht im Rahmen des Arbeitsverhältnisses in den Anspruch des Arbeitnehmenden auf körperliche Integrität und damit in eine durch das Persönlichkeitsrecht geschützte Position eingreift, ist in Lehre und Rechtsprechung unbestritten.».

Im Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerin hielt der Arbeitgeber fest, dass eine Hepatitis-B-Impfung für das Pflegepersonal vorausgesetzt ist. Eine über die Hepatitis-B-Impfung hinausgehende Impflicht wurde im Vertrag nicht festgehalten. Das Kreisgericht St. Gallen befand, dass keine vertragliche Grundlage bestand, die Arbeitnehmerin zu weiteren Impfungen zu verpflichten.

Weiter prüfte das Kreisgericht St. Gallen, ob der Arbeitgeber mittels Weisungsrechts eine über die Hepatitis-B-Impfung hinausgehende Impfpflicht anordnen durfte. Das Gericht verneinte dies. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist begrenzt. Es findet seine Grenzen unter anderem im Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, das unter anderem auch einen Anspruch auf Gleichbehandlung begründet. Eine Ungleichbehandlung erfordert einen sachlichen Grund. Der Arbeitgeber konnte nicht beweisen, dass sämtliches Personal über den erforderlichen Impfstatus verfügt. Der Arbeitgeber differenzierte jedoch bei den Impfanforderungen an sein medizinisches Personal. Bei langjährigem Personal verlangte der Arbeitgeber keine Impfungen. Diese Unterscheidung wurde vom Kreisgericht St. Gallen als eine unsachliche Ungleichbehandlung qualifiziert, weshalb zusätzlich der Anspruch der Arbeitnehmerin auf eine diskriminierungsfreie Ausübung des Weisungsrechts verletzt wurde.

Das Gericht führte zudem aus: «Es kommt hinzu, dass mit der Duldung von langjährigen Mitarbeitenden ohne die von der Beklagten als erforderlich erachtete Immunisierung deren nachvollziehbares Interesse an der Impfung des Personals zur Gewährleistung des Infektionsschutzes im Klinikbetrieb an Gewicht verliert»

Ist eine Weisung rechtswidrig, kann ein Arbeitnehmer diese verweigern, ohne dass der Arbeitgeber dies sanktionieren darf. Die Kündigung des Arbeitgebers aufgrund der Weigerung der Arbeitnehmerin, sich impfen zu lassen, erfolgte deshalb missbräuchlich.

Quelle: Cottinelli Advokatur & Notariat GmbH

Kommentar zum Urteil

Dieses wichtige erstinstanzliche Urteil spielt im Jahr 2017 und im Gesundheitsbereich. Die Frage der arbeitsrechtlichen Impfflicht, ob durch Arbeitgeberweisung oder nicht, ist soweit ersichtlich noch nicht bundesgerichtlich entschieden worden. Bei der Schweinegrippe im Herbst/Winter 2009 kam das Thema auf, wurde aber niemals durchprozessiert. Bei Covid-19 fand die Diskussion erneut statt, aber auch hier ohne die Beibringung eines Leiturteils. In der Literatur wird keine einheitliche Meinung vertreten. Hier sei auf zwei Stellen aus Streiff/von Kaenel/Rudolph verwiesen: „Enge Grenzen sind Weisungen gesetzt, die in das gesundheitsrechtliche Selbstbestimmungsrecht eingreifen.“ (Art. 328 N15a). „Die pauschale Bejahung eines generellen Impfobligatoriums für das gesamte Spitalpersonal, unbesehen von individuellen Faktoren, wie z.B. tatsächliche Exposition oder subjektive Risiken hinsichtlich Impfnebenfolgen, ist hingegen abzulehnen“ (a.a.O.).

Von: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch

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