Impfzwang von Arbeitnehmern
Die Grundlagen für eine Impfung von Arbeitnehmern sind einerseits das Weisungsrecht der Arbeitgeberin und andererseits die Treuepflicht des Arbeitnehmers. Klar ist natürlich, dass es keine Zwangsimpfungen durch «physischen Zwang» am Arbeitnehmer geben darf; das wäre auch eine strafbare Handlung seitens der Arbeitgeberin bzw. der beteiligten Personen (das Thema Unternehmensstrafrecht wird hier nicht vertieft).
Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich verpflichtet, den Weisungen der Arbeitgeberin zu folgen (Art. 321d Abs. 1 OR). Die Arbeitgeberin kann die Weisungen einseitig erlassen. Der Arbeitnehmer ist aufgrund seiner Treuepflicht verpflichtet, diesen Weisungen Folge zu leisten, soweit dies ihm nach Treu und Glauben (Art. 321d Abs. 2 OR) zumutbar ist. Weitere zentrale Schranken der Weisungspflicht des Arbeitgebers bilden etwa seine Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern sowie der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers. Letztlich geht es hier um eine schwierig vorzunehmende Interessenabwägung.
Weisungen der Arbeitgeberin müssen grundsätzlich auf das notwendige beschränkt sein. Und unzulässige Weisungen müssen vom Arbeitnehmer nicht befolgt werden. Es dürfte sehr unwahrscheinlich sein, dass Unternehmen eine Impfpflicht gegenüber der gesamten Belegschaft mit einer Weisung durchsetzen könnte (u.a. Backoffice, Homeoffice-Arbeitsplätze, Einzelbüros etc.). Offen ist aber, ob besondere Berufsgruppen oder exponierte Arbeitsplätze allenfalls einer Impflicht unterzogen werden können dürfen. Da eine Impfung aber ein sehr starker Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstellt, ist diese nicht leichtfertig zulässig.
Zum Thema Impflicht im Arbeitsrecht fehlen klare Präjudizien, insbesondere sind keine Urteile des Bundesgerichts ergangen. Bei der Schweineigrippe im Jahr 2009 blieb das Thema rechtlich offen. Im Jahr 2006 verneinte das St. Galler Verwaltungsgericht eine Pflicht zur Hepatitis-B-Impfung für ärztliches Personal.
Es wird schliesslich durch die Gerichte zu entscheiden sein, ob Arbeitnehmer zu Impfungen verpflichtet werden können. Es wird wegen Covid-19 mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit zu einem Urteil des Bundesgerichts zum Thema Impfzwang am Arbeitsplatz kommen. Dieses dürfte aber erst in den Jahren 2022 oder 2023 zu erwarten sein.
Subtiler und weniger subtiler Druck auf Arbeitnehmer durch die Arbeitgeberin
Ein direkter Impfzwang durch Weisungen der Arbeitgeberin ist derzeit eher unwahrscheinlich. Es dürfte hingegen wahrscheinlich sein, dass Arbeitgeberinnen zunehmenden sanften Druck auf Arbeitnehmer ausüben werden, sei dies subtil, etwa durch Information und Impfkampagnen, oder gar weniger subtil, durch sozialen Druck, der bis zu Mobbing und Bossing reichen kann. Bei der Grippe- bzw. Influenza-Impfung werden die Arbeitnehmer durch gratis-Impfungen im Betrieb ja zur Impfung motiviert.
Hier werden sich arbeitsrechtlich verschiedene Fragen in der Zukunft stellen. Im Vordergrund dürften Mobbing sowie Fälle von missbräuchlichen Kündigungen von Arbeitnehmern stehen, etwa wenn sich Arbeitnehmer weigern, sich einer Impfung zu unterziehen und dann bzw. danach ordentlich gekündigt werden. Wir sind hier schon sehr gespannt, was für Gerichtsentscheide in der nahen Zukunft ergehen werden.
Impfpflicht durch Impfklauseln in Arbeitsverträgen – Option von Änderungskündigungen
Es ist auch möglich – und dürfte in der Zukunft immer mehr zur Diskussion stehen – das Thema Impfungen im Arbeitsvertrag vor dem Stellenantritt durch sog. Impfklauseln verbindlich zu regeln. Aber auch eine solche Klausel im Arbeitsvertrag kann allenfalls angreifbar werden, indem sie als nicht rechtlich zulässig bzw. nichtig angesehen wird. So könnte ein Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag mit einer Impfklausel unterschreiben und anschliessend geltend machen, dass diese Klausel nichtig sei. Der Rest des Arbeitsvertrages würde bei der Bejahung einer Nichtigkeit der Impfklausel (ohne die Impfklausel) normal weiter gelten, es läge eine sog. Teilnichtigkeit vor. Impfklauseln bestehen bereits in Schweizer Arbeitsverträgen, bspw. in der Luftfahrtindustrie, wo einzelne Länder Crew-Mitglieder nur einreisen lassen, wenn Impfbestätigungen vorhanden sind (z.B. Gelbfieber etc.).
Bei laufenden Verträgen stellt sich hier das Thema der Zulässigkeit einer Einführung der Impfflicht durch eine Änderungskündigung des Arbeitgebers. Bei einer Änderungskündigung schlägt die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsvertrag vor und erklärt gleichzeitig die Kündigung für den Fall, dass der Arbeitnehmer dem nicht zustimmt. Zentral ist hier, dass die Arbeitgeberin bei der Änderungskündigung die vertragliche oder, wenn keine vertragliche Kündigungsfrist besteht, die gesetzliche Kündigungsfrist beachten muss. Eine Impfklausel könnte durch eine Änderungskündigung in bestehende Arbeitsverhältnisse eingefügt werden. Hier kann es geschehen, dass Arbeitnehmer hier auch bei formell korrektem Vorgehen durch die Arbeitgeberin (Wirksamkeit nach Ende der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist) versuchen werden, wegen des Inhalts der Änderungskündigung eine missbräuchliche Kündigung geltend zu machen.
Weigerung von Arbeitnehmern sich zu impfen
Der Arbeitnehmer kann sich weigern, sich impfen zu lassen. Es kann niemals eine Impfung durch «physischen Zwang» durch den Arbeitgeber geben.
Die Frage ist aber, welche Konsequenzen es für den Arbeitnehmer haben kann, wenn er sich einer durch den Arbeitgeber angeordneten Impfung widersetzt. Im Kern geht es darum, ob der Arbeitgeber bei Impfverweigerung das Arbeitsverhältnis auflösen darf (ordentliche oder gar fristlose Kündigung) oder allenfalls die Lohnfortzahlung des nicht geimpften Arbeitnehmers wegen verweigern darf, wenn dieser wegen fehlender Impfung nicht mehr am Arbeitsplatz einsetzbar wäre. Im Kündigungsfall des Arbeitgebers stellt sich auch die Frage, ob der Arbeitnehmer sich auf eine missbräuchliche Kündigung berufen kann, welche seitens des Arbeitgebers zu einer Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen führen kann (in Deutschschweizer Kantonen werden aber kaum sechs Monatslöhne als Entschädigungen zugesprochen).
Zwangsimpfungen aufgrund vom Epidemiengesetz (EpG)
Gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. d Epidemiengesetz (EpG) kann der Bundesrat bei einer «besonderen Lage», wie sie derzeit herrscht – nach der Anhörung der Kantone – Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären.
Gemäss Art 22 Epidemiengesetz (EpG) «Obligatorische Impfungen» können die Kantone Impfungen anordnen. Die Bestimmung lautet wie folgt: «Die Kantone können Impfungen von gefährdeten Bevölkerungsgruppen, von besonders exponierten Personen und von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären, sofern eine erhebliche Gefahr besteht.»
Diese Bestimmungen würde dem Bund und den Kantonen die Möglichkeit geben, Impfungen von Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch zu erklären. Hier würde es also um einen massiven staatlichen Eingriff in eine Gruppe von bestimmten Arbeitnehmern bzw. Berufsleuten gehen, der u.a. auch das verfassungsmässige Verhältnismässigkeitsprinzip beachten muss.
Die Covid-19-Pandemie ist das erste Mal, wo das Epidemiengesetz (EpG) zur Anwendung gelangt. Mithin bestehen hier noch keinerlei Erfahrungen in der Gesetzesanwendung geschweige denn irgendeine Gerichtspraxis.
Die Einführung eines solchen Impfobligatoriums würde auch nicht zur Impfung durch «physichen Zwang» führen können. Der betreffenden Arbeitnehmer würde dann aber allenfalls durch staatliche Regulierung «berufsunfähig» werden, d.h. könnte im angestammten Beruf nicht mehr bei der Arbeitgeberin tätig sein. Hier würde sich dann die Frage der Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin sowie der Kündigung stellen.
Sollten Bund oder Kantone eine solches Impfobligatorium einführen, was derzeit eher unwahrscheinlich sein dürfte, so dürfte es massive rechtliche Nachspiele geben, sowohl durch Prozesse, welche sich auf die Bundesverfassung (BV) und die verfassungsmässigen Rechte stützen als auch in Verfahren vor Arbeitsgerichten, wo es um die Folgen für die Arbeitnehmer bei der Arbeitgeberin geht.
Berufsgruppen mit besonderen arbeitsrechtlichen Impfkonstellationen
Bei verschiedenen Unternehmen – etwa bei Fluggesellschaften und bei allen Berufsgruppen, welche zwingend und oft beruflich Reisen müssen – dürfte eine arbeitsrechtliche Sondersituation bestehen.
Wenn nämlich ausländische Staaten eine Impfung für die Einreise voraussetzen (das ist in verschiedenen Ländern für verschiedene Impfungen bereits lange der Fall) hängt die Möglichkeit der Berufsausübung dann zwingerweise von einer Impfung ab. Mit anderen Worten ist der Arbeitnehmer in solchen Konstellationen nur mit Impfung objektiv in der Lage, seine Arbeitsleistung für die Arbeitgeberin zu erbringen. Ein Pilot ohne Impfausweis könnte letztlich faktisch genauso berufsuntauglich sein, wie ein Pilot ohne Flugschein. Diese Situation besteht bereits seit langem, Covid-19 ist hier also rechtlich neuer Wein in alten Schläuchen.
Bei solchen Betrieben muss das Thema Impfung, sei es allgemein als notwendige Voraussetzung der Berufsausübung, im Arbeitsvertrag zwingend geregelt werden. Sei dies in den Gesamtarbeitsverträgen (GAV) der betreffenden Branche, sei es in den individuellen Arbeitsverträgen.
Es kann aber dennoch zu rechtlichen Auseinandersetzungen kommen. So können Arbeitnehmer einwenden, dass zwar eine arbeitsvertragliche Impfflicht besteht, diese aber nur für langfristig wissenschaftlich erprobte Impfungen gelte, nicht aber für die Covid-19-Impfung. Hier ist also auch mit Verfahren vor Arbeitsgerichten zu rechnen.
Von: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch
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