Corona-Erwerbsersatz: Beschwerde gegen verweigerte Neuberechnung teilweise gutgeheissen

Das Bundesgericht heisst im Urteil 9C_663/2021 vom 6. November 2022 die Beschwerde einer Frau gegen die verweigerte Neuberechnung ihrer Corona-Erwerbsausfallentschädigung teilweise gut. Die vom Bundesrat für den Zeitraum bis zum 16. September 2020 getroffene Regelung ist aufgrund der damaligen Dringlichkeit der Situation nicht zu beanstanden. Die anschliessend bis Ende Juni 2021 geltende Regelung verstösst jedoch gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit.

Sachverhalt

Eine als Musikerin und Lehrerin tätige Frau hatte im August 2020 eine Entschädigung wegen Erwerbsausfall infolge des Coronavirus beantragt. Die Ausgleichskasse des Kantons Tessin legte das Taggeld für die Zeit vom 17. März 2020 bis Ende Oktober 2020 auf Basis der definitiven Steuerveranlagung der Betroffenen des Jahres 2018 auf 35 Franken fest. Im Januar 2021 liess die Frau der Ausgleichskasse die definitive Steuerveranlagung des Jahres 2019 zukommen, in der ihr steuerbares Einkommen deutlich höher ausfiel als 2018. Die Betroffene ersuchte um Neuberechnung der Corona-Taggelder.

Die Ausgleichskasse wies ihr Ersuchen ab, was vom Versicherungsgericht des Kantons Tessin bestätigt wurde.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 9C_663/2021 vom 6. November 2022

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Frau teilweise gut; die Taggelder werden für die Zeit ab dem 17. September 2020 neu festzulegen sein. Zu unterscheiden ist der Zeitraum vom 17. März 2020 bis zum 16. September 2020 einerseits und derjenige vom 17. September 2020 bis zum 30. Juni 2021 andererseits.

Die während dem ersten Zeitraum geltende „COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall“ sah vor, dass eine Neuberechnung der Entschädigung nach ihrer Festlegung nur vorgenommen werden kann, wenn die betroffene Person bis zum 16. September 2020 eine aktuellere Steuerveranlagung erhalten und den Antrag zur Neuberechnung bis dahin eingereicht hat. Die für den folgenden Zeitraum (17. September 2020 bis 30. Juni 2021) geltenden Versionen der „COVID-19-Verordnung Erwerbsausfall“ schlossen nach erstmaliger Festlegung eine Neuberechnung aufgrund einer aktuelleren Berechnungsgrundlage aus.

Soweit es sich um den Zeitraum bis zum 16. September 2020 handelt, ist die getroffene Lösung gemäss dem Bundesgericht nicht zu beanstanden. Die fragliche Verordnung stützte sich auf das Notverordnungsrecht (Artikel 185 Bundesverfassung), und der Bundesrat verfügte angesichts der Dringlichkeit der Situation über einen grossen Handlungsspielraum; er musste rasch intervenieren und einfache Regelungen treffen.

Anders ist hingegen gemäss dem Bundesgericht der Zeitraum ab dem 17. September 2020 bis zum 30. Juni 2021 zu beurteilen. Die Situation stellte sich nicht mehr so dringlich dar wie zuvor. In der Interessenabwägung kommt der Wahrung der verfassungsmässigen Rechte deshalb ein höheres Gewicht zu. Zu beachten ist insbesondere, dass die Betroffenen keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Behandlung ihrer Steuererklärung hatten. Die für den Zeitraum ab dem 17. September 2020 getroffene Lösung verstösst im Ergebnis gemäss dem Bundesgericht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

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