Rechtlich heikler parlamentarischer Vorstoss zur Landesverweisung per Strafbefehl

In der staatspolitischen Kommission des Nationalrates wurde die Motion 21.3009 eingereicht. Diese soll Landesverweisungen in «eindeutigen Fällen» erleichtern. Diese Motion, welche vom Bundesrat zur Annahme empfohlen wird, ist rechtlich als äussert heikel einzustufen. Wir besprechen hier diese Motion 21.3009 mit dem erfahrenen Strafverteidiger RA Fatih Aslantas.

Interview mit Strafverteidiger RA Fatih Aslantas

Herr Aslantas, wir beurteilen Sie als Strafverteidiger und Betreiber von www.einsprache-strafbefehl.ch die Motion?

Ich erachte die Motion in rechtsstaatlicher Hinsicht als äusserst bedenklich.

Weshalb?

Für mich ist bereits der Titel «Landesverweisungen per Strafbefehl bei leichten, aber eindeutigen Fällen» ein Widerspruch. Gerade bei leichten Fällen sollte aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Verhältnismässigkeitsgrundsatzes kein Landesverweis erfolgen. Schliesslich erfolgt eine weitere Machtkonzentration bei den Staatsanwält*innen, die den Sachverhalt selber untersuchen und gleichzeitig auch als Richter und Ausschaffungsbehörde amtieren.

Auch dass in diesen Fällen in Zukunft kein Anspruch auf eine notwendige Verteidigung gegeben sein soll, ist ein Rückschritt und höhlt die Verteidigungsrechte der Beschuldigten aus.

Schliesslich sind die stetigen Versuche, unsere Strafgesetze inkl. Strafprozessordnung immer wieder zu ändern, für mich nicht nachvollziehbar.

Aber können Beschuldigte nicht einfach Einsprache erheben?

Grundsätzlich müsste der Strafbefehl bei Personen, welche die Amtssprache nicht verstehen, übersetzt werden. Das Bundesgericht lässt es genügen, wenn das Dispositiv und die Rechtsmittelbehrung übersetzt werden. In der Praxis wird das nicht selten unterlassen. Zudem ist fraglich, ob bei einer Übersetzung der beschuldigten Person effektiv klar wird, worum es geht und was die Konsequenzen sind. Das wage ich einmal zu bezweifeln. Wenn z.B. eine so verurteilte Person nicht nur einen Landesverweis für die Schweiz, sondern für den ganzen Schengen-Raum erhält, was häufig der Fall ist, wird es sehr einschneidend. Und das für mindestens 5 Jahre.

Kann es sein, dass die Strafverteidiger lediglich befürchten, dass Ihnen die Felle davonschwimmen?

Es geht klar nur um die rechtsstaatlichen Überlegungen. Mit diesen Fällen werden Sie als Strafverteidiger nicht reich, insbesondere nicht, wenn es sich um amtliche Verteidigungen handelt. Schliesslich stelle ich fest, dass auch in der Schweiz ansässige Personen kaum eine Einsprache gegen Strafbefehle erheben. Meist wohl aufgrund ihres Unwissens und einem falschen Vertrauen in staatliche Behörden.

Zur Person:

Fatih Aslantas
lic. iur., LL.M., Rechtsanwalt / Attorney at law
Solicitor (England & Wales), non-practising

FORRER LENHERR BÖGLI & PARTNER Rechtsanwälte
Bahnhofstrasse 7   8570 Weinfelden
Tel. +41 (0)71 626 22 66   Fax.+41 (0)71 626 22 60
weinfelden@flb-law.ch   http://www.flb-law.ch

Wortlaut der Motion 21.3009

Die Motion 21.3009 hat den folgenden Wortlaut:

«Der Bundesrat wird beauftragt, den Entwurf für eine Änderung des Strafrechts vorzulegen, durch die bei leichten, aber eindeutigen Fällen die Anordnung einer Landesverweisung per Strafbefehl ermöglicht wird und die Katalogstraftaten in denjenigen Fällen präzisiert werden, bei denen besonders viele Bagatellfälle auftreten.

  1. Die Anordnung der Landesverweisung durch die Staatsanwaltschaften im Strafbefehlsverfahren ist zuzulassen, sofern die Voraussetzungen für den Erlass eines Strafbefehls erfüllt sind.
  2. Eine notwendige Verteidigung soll nur dann bestellt werden, wenn dafür eine der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt ist. Alleine der Umstand, dass eine Landesverweisung droht, soll in diesen Fällen zu keiner notwendigen Verteidigung führen.
  3. Die Katalogstraftaten nach Artikel 66a Abs. 1 Bst. d, f und h des Strafgesetzbuches (StGB) sollen überprüft und ggf. präzisiert werden.

Zudem intensiviert der Bundesrat seine Anstrengungen, dass Bund und Kantone die Datenerhebung zu den Landesverweisungen und zur Anwendung der Härtefallklausel so rasch als möglich harmonisieren.»

Begründung der Motion 21.3009

Die staatspolitische Kommission begründet ihren Vorstoss wie folgt:

«Anhörungen der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter (SVR) und der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz (SSK) durch die SPK haben gezeigt, dass die per 1. Oktober 2016 in Kraft getretene Ausführungsgesetzgebung zur Volksinitiative „Für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ (Ausschaffungsinitiative) durch die Justizbehörden im Sinne von Verfassung und Gesetz angewandt wird. Die Landesverweisung ist die Regel, der Verzicht darauf mit Berufung auf die Härtefallklausel die Ausnahme. Die Kommission erblickt im Bereich der Landesverweisungen dennoch punktuellen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.

ad 1. In vielen Fällen ist es nicht das Gericht, das Katalogstraftaten zu beurteilen hat, sondern die Staatsanwaltschaft. Im Strafbefehlsverfahren kann sie leichtere Fälle bei Freiheitsstrafen von höchstens sechs Monaten selbst beurteilen, jedoch keine Landesverweisungen aussprechen. Das Gesetz soll deshalb so geändert werden, dass die Anordnung einer Landesverweisung bei leichten, aber eindeutigen Fällen (Personen ohne Aufenthaltsstatus, „Kriminaltouristen“ mit Freiheitsstrafe unter 6 Monaten) per Strafbefehl durch die Staatsanwaltschaft ermöglicht wird.

ad 2. Die Strafprozessordnung sieht vor, dass jeder Beschuldigte verteidigt werden muss, wenn ihm eine Landesverweisung droht. Das gilt auch für beschuldigte Ausländerinnen und Ausländer, die nie über einen Aufenthaltstitel verfügt haben oder die einzig mit der Absicht in die Schweiz eingereist sind, eine Straftat zu begehen („Kriminaltourismus“). In diesen Fällen soll eine obligatorische Strafverteidigung ausgeschlossen werden.

ad 3. Geringfügigere Verstösse und Übertretungen sollen ausdrücklich von der obligatorischen Landesverweisung ausgenommen werden, insbesondere wenn sie von jungen Ausländerinnen und Ausländern begangen wurden, die in der Schweiz aufgewachsen sind. Führt dies im Einzelfall zu einem unangemessenen Resultat, soll eine nicht obligatorische Landesverweisung ausgesprochen werden. Im Vordergrund steht eine Präzisierung der Katalogstraftaten nach Artikel 66a Absatz 1 Buchstaben d (Diebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch), Buchstaben f (verschiedene Betrugsdelikte) sowie Buchstaben h (in Bezug auf Pornografie) des Strafgesetzbuches. Diese Bestimmungen sollen überprüft und ggf. präzisiert werden, weil hier besonders viele Bagatellfälle auftreten. Seit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderungen sind wiederholt Unstimmigkeiten bei der Anwendungsrate der Landesverweisung im Rahmen der Strafurteilsstatistik aufgetreten. Diese sind wohl einerseits auf unvollständig und unpräzis ausgefertigte Gerichtsurteile und Strafbefehle, aber auch auf eine unterschiedliche Rechtsanwendung in den Kantonen zurückzuführen. Letzterem könnte mit einer Präzisierung des Straftatenkataloges teilweise Abhilfe geschaffen werden. Andererseits führen wohl Fehler der Kantone bei der Erfassung der Gerichtsurteile und Strafbefehle im Strafregister zu Abweichungen bei der Anwendungsrate. Durch die Motion soll der Auftrag der bereits angenommenen Motion 18.3408 s „Konsequenter Vollzug von Landesverweisungen“ des Ständerates erweitert und präzisiert werden. Im Rahmen dieser Motion hat das Parlament bereits darauf hingewiesen, dass für Personen ohne Aufenthaltsrecht die Möglichkeit geschaffen werden soll, eine Landesverweisung auch im Rahmen eines Strafbefehlsverfahrens auszusprechen.»

Der Bundesrat beantragt die Annahme der Motion 21.3009.

 

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