Kostenrisiko von Privatklägern im strafrechtlichen Rechtsmittelverfahren

Im wichtigen Urteil 6B_582/2020 vom 17. Dezember 2020 (amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit der Kostenauflage an Privatkläger im Rechtsmittelverfahren – anders gesagt mit dem Kostenrisiko, welches Privatkläger im strafrechtlichen Rechtsmittelverfahren eingehen (müssen). Der Sachverhalt selber des Urteils ist rasch erzählt. Bei einer Schlichtungsverhandlung von Mit- und Stockwerkeigentümern äussert sich eine Person gegenüber einer anderen mit «Die spinnt!». Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein und sah kein Ehrverletzungsdelikt als erfüllt an. Die entscheidende Stelle des Urteils des Bundesgerichts bezüglich der Kostenverteilung im Rechtsmittelverfahren findet sich am Schluss: «…dass die Entschädigung der beschuldigten Person für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte bei einer Einstellung des Strafverfahrens oder bei einem Freispruch zulasten des Staats geht, wenn es sich um ein Offizialdelikt handelt (Art. 429 Abs. 1 StPO), und zulasten der Privatklägerschaft, wenn es um ein Antragsdelikt geht (Art. 432 Abs. 2 StPO). Im Berufungsverfahren betreffend Offizialdelikte wird die unterliegende Privatklägerschaft entschädigungspflichtig, im Beschwerdeverfahren hingegen der Staat. Geht es um ein Antragsdelikt, wird sowohl im Berufungs- wie im Beschwerdeverfahren die Privatklägerschaft entschädigungspflichtig (Art. 436 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 432 Abs. 2 StPO).» (E.4.2.6).

Sachverhalt

Der Sachverhalt dieses bundesgerichtlichen Leiturteils spielt im Kanton Schwyz. Person A. erhob am 26. Juni 2018 Strafklage gegen Person B. wegen des Verdachts auf Begehung von Ehrverletzungsdelikten. Sie wirft der Beanzeigten vor, anlässlich einer Schlichtungsverhandlung unter Mit- und Stockwerkeigentümern am 28. März 2018 gut vernehmbar über sie gesagt zu haben: „Die spinnt!“.

Die Staatsanwaltschaft Höfe Einsiedeln stellte das Strafverfahren ein (Verfügung vom 13. September 2019).

Dagegen beschwerte sich Person A. beim Kantonsgericht Schwyz. Dieses wies die Beschwerde ab, soweit es auf das Rechtsmittel eintrat. Die kantonsgerichtlichen Kosten auferlegte es der Beschwerdeführerin. Es verpflichtete diese weiter, die Beschuldigte für das Beschwerdeverfahren zu entschädigen (Beschluss vom 11. März 2020).

Verfahrensgang

Person A. führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Das Strafverfahren sei weiterzuführen. Eventuell sei die Sache zur neuen Verlegung der Kosten an die Vorinstanz zurückzuweisen, subeventuell nur betreffend die Entschädigung.

Ausführungen des Bundesgerichts

Zur Einstellung des Strafverfahrens

Die Staatsanwaltschaft verfügt, wie das Bundesgericht ausführt, gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO u.a. die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist. Ein Verfahren darf grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit eingestellt werden. Sofern nicht die Erledigung mit einem Strafbefehl in Frage kommt, ist Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf (Grundsatz  in dubio pro duriore). Bei zweifelhafter Beweis- oder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Der Grundsatz, dass im Zweifel nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der Überprüfung von Einstellungsverfügungen im Beschwerdeverfahren zu beachten (BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 S. 243 mit Hinweisen).  (E.2).

Zur Aussage «Die spinnt!»

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Schlussfolgerung der Vorinstanz, die Äusserung der Beschuldigten „Die spinnt!“ sei grundsätzlich nicht ehrverletzend im Sinne der Art. 173 ff. StGB. (E.3).

Die Vorinstanz begründet dies nach den Ausführungen des Bundesgerichts u.a. damit, der Ausdruck „spinnen“ sei umgangssprachlich oft nicht im ursprünglichen pathologischen Sinn zu verstehen; er meine regelmässig, jemand „nerve“, verhalte sich kompliziert, fordere Übermässiges ein oder – sogar positiv konnotiert – er setze sich allgemein sehr für eine Sache ein. Die Äusserung „Die spinnt!“ sei bei einer Vermittlungsverhandlung gefallen, an welcher sich die Beschwerdeführerin gegen Versammlungsbeschlüsse der Eigentümergemeinschaft wehrte. Unter diesen Umständen sei die Äusserung kein Ehrurteil, sondern sollte offensichtlich ausdrücken, es passe einem nicht, dass sich die Beschwerdeführerin so hartnäckig gegen Mehrheiten stelle. Der ohnehin nur unter besonderen Umständen ein (mildes) Schimpfwort darstellende Ausdruck sei im Kontext des der Vermittlungsverhandlung zugrunde liegenden Rechtsstreits in erster Linie geeignet, „die Geltung der Beschwerdeführerin bzw. deren Standpunkte in den Eigentümergemeinschaften zu taxieren“. Er beziehe sich insofern nicht auf rufschädigende und durch die Ehrverletzungstatbestände strafrechtlich geschützte Tatsachen. Nichts deute darauf hin, dass sich die Äusserung auf Charaktermängel der Beschwerdeführerin beziehe. (E.3.1).

Das Bundesgericht führt hierzu aus: «Unter der vom Strafrecht geschützten Ehre wird allgemein ein Recht auf Achtung verstanden, das durch jede Äusserung verletzt wird, die geeignet ist, die betroffene Person als Mensch verächtlich zu machen (BGE 137 IV 313 E. 2.1.1; 128 IV 53 E. 1a S. 57). Bei der Beurteilung einer Äusserung ist grundsätzlich der Sinn massgebend, in welchem sie der unbefangene durchschnittliche Dritte den konkreten Umständen nach versteht (BGE 145 IV 23 E. 3.2; 133 IV 308 E 8.5.1). Es gelten also nicht die Wertmassstäbe des Verletzers oder des Betroffenen, sondern die allgemeine Anschauung des Personenkreises, der die Äusserung zur Kenntnis nimmt (vgl. FRANZ RIKLIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. A. 2019, N 28 Vor Art. 173 StGB). Der Vorhalt, jemand sei (geistes-) krank, ist an sich nicht ehrverletzend, da eine Erkrankung keine moralisch verwerfliche, den Ruf als ehrbarer Mensch herabsetzende Tatsache darstellt. Psychiatrische Fachausdrücke wie „Psychopath“, „Querulant“ oder „Idiot“ können jedoch auch – statt in einem (mitunter überholten) medizinischen Sinn verwendet zu werden – in ein moralisches Werturteil umgewandelt und so dazu missbraucht werden, jemanden als verschroben, abnorm, charakterlich minderwertig oder als asozialen Sonderling hinzustellen, ihn mithin in seiner persönlichen Ehre herabzuwürdigen (BGE 98 IV 90 E. 3a; Urteil 6B_531/2018 vom 2. November 2018 E. 3.1; RIKLIN, a.a.O., N 26 Vor Art. 173 StGB mit Hinweisen).» (E.3.2).

Trotz ausführlichen Rügen der Beschwerdeführerin (vgl. E.3) kommt das Bundesgericht zum folgenden Schluss in Sachen Entscheid über die Ehrverletzung durch das Bundesgericht: «Ausgehend von der Schlussfolgerung, die inkriminierte Äusserung erfülle keinen Ehrverletzungstatbestand, hat die Vorinstanz klare Straflosigkeit angenommen. In der Tat erscheint eine Verurteilung keineswegs wahrscheinlicher als ein Freispruch. Der angefochtene Beschluss verletzt kein Bundesrecht.» (E.3.4).

Kostenverteilung bei der Einstellung des Verfahrens

Wir kommen nun zum «Filetstück» des Urteil 6B_582/2020 vom 17. Dezember 2020 des Bundesgerichts, dem Thema der Kostenverteilung.

Was die Verlegung der Kosten des kantonalen Verfahrens angeht, beanstandet die Beschwerdeführerin vor dem Bundesgericht, die Vorinstanz habe es zu Unrecht abgelehnt, der Beschuldigten nach Art. 426 Abs. 2 StPO Verfahrenskosten aufzuerlegen. (E4.1). Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe die der Beschuldigten zugesprochene Parteientschädigung zu Unrecht zu ihren Lasten (statt zu Lasten des Staats) verlegt. (E.4.2).

Das Bundesgericht führte aus: «Im Bereich der Antragsdelikte kann die Privatklägerschaft verpflichtet werden, der beschuldigten Person die Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte zu ersetzen, wenn die beschuldigte Person im Schuldpunkt obsiegt (Art. 432 Abs. 2 StPO). Diese Bestimmung gilt auch für die entsprechende Entschädigung im Rechtsmittelverfahren (Art. 436 Abs. 1 StPO).» (E.4.2.1).

Danach befasste sich das Bundesgericht mit den unterschiedlichen Formulierungen der Bestimmung in den verschiedenen Sprachen (E. 4.2.2) sowie mit der StPO-Revision und der dadurch erfolgten Stärkung der Rechte der Privatklägerschaft (E.4.2.4).

Das Bundesgericht erläuterte daraufhin seine bisherige Praxis wie folgt: «BGE 141 IV 476 befasst sich mit der Verlegung der Entschädigung für die Verteidigungskosten der obsiegenden beschuldigten Person in Rechtsmittelverfahren, die allein von der Privatklägerschaft angehoben worden sind. Danach hängt die Kostentragung davon ab, ob es sich beim angefochtenen Akt um einen Entscheid handelt, der auf einem „vollständigen gerichtlichen Verfahren“ beruht (Kostenträgerin: Privatklägerschaft), oder um eine Einstellungsverfügung (Kostenträger: Staat). Diese Unterscheidung bezieht sich sowohl auf Verfahren, in denen Antragsdelikte behandelt werden, wie auch auf solche betreffend Offizialdelikte. Die erwähnte Regel, wonach die Verantwortung des Staats für die Strafverfolgung dazu führt, dass der Staat auch deren Kosten trägt, wird gegenstandslos, sobald das Verfahren nur noch auf Betreiben der Privatklägerschaft fortgesetzt wird. Grund für die in BGE 141 IV 476 getroffene Unterscheidung ist, dass der Staat den Strafverfolgungsanspruch mit einem freisprechenden Urteil abschliessend eingelöst hat, während die Einstellungsverfügung die Strafverfolgung vorzeitig beendet. Der Strafverfolgungsanspruch geht beim Offizialdelikt indessen weiter als beim Antragsdelikt. Bei von Amtes wegen zu verfolgenden Delikten trägt die gegen die Einstellungsverfügung Beschwerde führende Privatklägerschaft ein latent weiterbestehendes öffentliches Strafverfolgungsinteresse mit. Beim Antragsdelikt hingegen erschöpft sich dieses Interesse mit der Einstellung oder Nichtanhandnahme. Damit ist es angezeigt, im Beschwerdeverfahren Art. 432 Abs. 2 StPO (in Verbindung Art. 436 Abs. 1 StPO) grundsätzlich (vgl. oben E. 4.2.3) anzuwenden (vgl. STEFAN CHRISTEN, Keine Entschädigungspflicht der Privatklägerschaft im kantonalen Beschwerdeverfahren in Strafsachen?, in: Forumpoenale 2016 S. 163 f.).» (E.4.2.5).

Daraufhin präzisierte das Bundesgericht seine Praxis aus BGE 141 IV 476 wie folgt: «Sofern es sich um Antragsdelikte handelt, geht die Entschädigung der beschuldigten Person im Rechtsmittelverfahren regelmässig zulasten der (den Rechtsweg allein beschreitenden) Privatklägerschaft, dies unabhängig davon, ob das Vor- resp. Hauptverfahren vollständig durchgeführt worden ist oder nicht. Die betreffende Differenzierung kommt nur bei Offizialdelikten zum Tragen.» (E.4.2.5. a.E.).

Zusammenfassung des Bundesgerichts betreffend Kostenverteilung im Rechtsmittelverfahren

Die Schlüsselstelle des Urteils 6B_582/2020 vom 17. Dezember 2020 für die Kostenverteilung im Rechtsmittelverfahren ist die Zusammenfassung des Bundesgerichts, welche wie folgt lautet:  «Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Entschädigung der beschuldigten Person für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte bei einer Einstellung des Strafverfahrens oder bei einem Freispruch zulasten des Staats geht, wenn es sich um ein Offizialdelikt handelt (Art. 429 Abs. 1 StPO), und zulasten der Privatklägerschaft, wenn es um ein Antragsdelikt geht (Art. 432 Abs. 2 StPO). Im Berufungsverfahren betreffend Offizialdelikte wird die unterliegende Privatklägerschaft entschädigungspflichtig, im Beschwerdeverfahren hingegen der Staat. Geht es um ein Antragsdelikt, wird sowohl im Berufungs- wie im Beschwerdeverfahren die Privatklägerschaft entschädigungspflichtig (Art. 436 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 432 Abs. 2 StPO).» (E.4.2.6).

 

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