Daniela Thurnherr führt am Bundesverwaltungsgericht Analyse zur Spruchkörperbildung

Die Bildung von Spruchkörpern am Bundesverwaltungsgericht steht in der Kritik. Das Gericht überprüft das System der Spruchkörperbildung nun mit Unterstützung von Daniela Thurnherr, Professorin an der Universität Basel und nebenamtliche Richterin. Der unabhängige Bericht wird Mitte Januar 2023 erwartet.

«Spruchkörperbildung» bezeichnet die Art und Weise, wie die Richtergremien gebildet werden, die über einen Fall urteilen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hatte bereits Mitte Mai angekündigt, dass es sein System der Spruchkörperbildung durch eine fachkundige Person eingehend überprüfen lassen möchte. Nun informierte das Bundesverwaltungsgericht über die Details.

Ergebnisse in einem halben Jahr
Die Analyse wird durch Daniela Thurnherr durchgeführt. Sie ist Professorin für Öffentliches Verfahrensrecht, Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht an der Universität Basel sowie nebenamtliche Richterin am Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt und Ersatzrichterin am Justizgericht des Kantons Aargau.

Prof. Dr. iur. Thurnherr wird das aktuelle System in juristischer und technisch/praktischer Hinsicht kritisch analysieren mit dem Ziel, dem Gericht bis Mitte Januar 2023 Bericht zu erstatten mit Empfehlungen zur künftigen Weiterentwicklung resp. Verbesserung des Systems der Spruchkörperbildung. Dem BVGer ist es ein Anliegen, dass dabei auch die Empfehlungen aus dem Bericht der Geschäftsprüfungs­kommissionen (GPK) vom 22. Juni 2021 sowie die Erkenntnisse der Studie der Universitäten Bern und Zürich, die am 16. Dezember 2021 veröffentlicht wurde, berücksichtigt werden. Für das BVGer besteht derzeit jedoch kein Anlass zu denken, dass bei der bisherigen Richterzuteilung die geltenden Regeln missachtet wurden. Aus diesem Grund umfasst der Auftrag nicht eine retrospektive Analyse der Art und Weise, wie die Spruchkörper in abgeschlossenen Fällen gebildet wurden.

Gerichtspräsident Vito Valenti äussert sich hierzu wie folgt: «Ich freue mich, dass wir für diese unabhängige Analyse mit Daniela Thurnherr eine ausgewiesene Fachperson gewinnen konnten. Als Professorin und Richterin kann sie die rechtswissenschaftlichen Erfordernisse mit der praktischen Umsetzbarkeit verbinden und in Ihren Bericht einfliessen lassen. » Seitens Daniela Thurnherr heisst es: «Die Spruchkörperbildung ist von zentraler Bedeutung für die Sicherstellung eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Die Untersuchung bereitet den Boden für zukunftsweisende Empfehlungen, die in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen stehen und den spezifischen Funktionen des Bundesverwaltungsgerichts Rechnung tragen.»

System in der Kritik
Verschiedene Medien kritisierten in den vergangenen Monaten das System der Spruchkörperbildung am BVGer. Sie bemängelten insbesondere den manuellen Anteil der Richterzuteilung als «manipulativ». Auch die Nachvollziehbarkeit bei der Spruchkörperbildung wurde kritisiert. Im Fokus standen jeweils die beiden Asyl-Abteilungen sowie der Verdacht, dass durch die jeweilige Parteizugehörigkeit der Richterinnen und Richter Urteile zu Ungunsten der Betroffenen ausfallen könnten.

Über Daniela Thurnherr
Daniela Thurnherr ist seit März 2007 Professorin für Öffentliches Verfahrensrecht, Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht an der Universität Basel. Daneben wirkt sie als nebenamtliche Richterin am Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt und als Ersatzrichterin am Justizgericht des Kantons Aargau.

Zum Thema Spruchkörperbildung am BVGer

«Spruchkörperbildung» bezeichnet die Art und Weise, wie die Richtergremien gebildet werden, die über einen Fall urteilen. Am BVGer bestimmen das Geschäftsreglement und die Reglemente der sechs Abteilungen, welche Kriterien bei der Zuteilung der Richterinnen und Richter berücksichtigt werden müssen. Je nach Rechtsmaterie und den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften können sich die massgebenden Kriterien in den Abteilungen unterscheiden.

Generell beruht die Spruchkörperbildung am BVGer auf zwei Komponenten: einem automatischen und einem manuellen Teil. Für den automatischen Teil setzt das Gericht eine Software ein, die intern auch «Bandlimat» genannt wird. Der Software hinterlegt sind beispielsweise die Arbeitssprachen der Richter/innen, ihr Beschäftigungsgrad oder Spezialisierungen. Auch längere Abwesenheiten können von der Software berücksichtigt werden. Die Liste der reglementarisch zu berücksichtigenden Kriterien ist jedoch länger und nicht alle Kriterien können in der Fallzuteilungssoftware abgebildet werden. Der manuelle Teil ist daher integraler Bestandteil der Spruchkörperbildung. Eine manuelle Zu- oder Umteilung erfolgt beispielsweise bei konnexen Verfahren (zusammenhängende Verfahren), Ausstandsgründen, Weggängen (z.B. Pensionierungen) oder kurzfristigen Abwesenheiten. Manuelle Zu- oder Umteilungen sind systembedingt, weil eine ausnahmslose Automatisierung der Spruchkörperbildung nicht möglich ist.

Die Parteizugehörigkeit der Richterinnen und Richter wird bei der Spruchkörperbildung bewusst nicht berücksichtigt und ist somit nicht als Kriterium hinterlegt. Eine generelle Berücksichtigung stünde im Widerspruch zur Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter.

Die Fallzuteilungssoftware ist für das Bundesverwaltungsgericht ein wichtiges und nützliches Hilfsmittel bei der Spruchkörperbildung. Im Vergleich zu anderen Schweizer Gerichten ist der Automatisierungsgrad hier weit fortgeschritten. Das Gericht nimmt diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein und ist bestrebt, das gesamte System der Spruchkörperbildung ständig weiterzuentwickeln, um das Potenzial einer automatisierten Geschäftsverteilung noch besser auszuschöpfen.

Kommentare (0)

Wir verwenden Cookies, um unsere Website und Ihr Navigationserlebnis zu verbessern. Wenn Sie Ihren Besuch auf der Website fortsetzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie hier.

Akzeptieren