Assistenzbeitrag: Unsachgerechte Standardwerte bei „Erziehung und Kinderbetreuung“

Die Standardwerte im Bereich „Erziehung und Kinderbetreuung“ zur Festlegung des Assistenzbeitrags sind nicht sachgerecht. Das Bundesgericht heisst im Urteil 9C_538/2021 vom 6. September 2022 die Beschwerde einer alleinerziehenden körperbehinderten Frau mit zwei Kindern teilweise gut.

Zu Hause lebende Bezügerinnen und Bezüger einer Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung können einen Assistenzbeitrag beantragen. Gewährt wird der Assistenzbeitrag für Hilfestellungen Dritter, auf welche die betroffene Person zur Bewältigung des Alltags ausserhalb einer Heimstruktur angewiesen ist.

Die Festlegung des individuellen Hilfebedarfs erfolgt mit dem standardisierten Abklärungsinstrument FAKT2. Damit wird der gesamte Hilfebedarf für verschiedene Lebensbereiche und abgestuft nach den Einschränkungen der betroffenen Person anhand vorgegebener Minutenwerte festgelegt.

Das Bundesgericht hat in einem früheren Urteil festgehalten (BGE 140 V 543), dass FAKT2 grundsätzlich ein geeignetes Instrument zur Ermittlung des gesamten Hilfebedarfs einer Person darstellt. In Bezug auf den Lebensbereich „Erziehung und Kinderbetreuung“ ist dies gemäss dem aktuellen Entscheid zu relativieren. Erhoben wurde die Beschwerde von einer Frau, die seit einem Unfall Paraplegikerin ist und einen Assistenzbeitrag beantragt hat. Die Betroffene ist alleinerziehend und hat zwei kleine Kinder.

Das Bundesgericht heisst im Urteil 9C_538/2021 vom 6. September 2022 ihre Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich teilweise gut; dabei geht es um den Bereich „Erziehung und Kinderbetreuung“. Die in diesem Bereich vorgegebenen Minutenwerte sind nicht sachgerecht. Bei einer Person, die umfassende Dritthilfe benötigt, beträgt der maximale Hilfebedarf im Bereich „Erziehung und Kinderbetreuung“ gemäss FAKT2 lediglich 14 Stunden pro Woche. Indessen ergibt sich beispielsweise aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE), dass im Jahr 2020 in Haushalten mit Kindern der durchschnittliche Zeitaufwand für die Kinderbetreuung bei Frauen 23 und bei Männern 14,8 Stunden pro Woche betrug. Auch wird in FAKT2 weder die Anzahl der Kinder noch die An- oder Abwesenheit eines anderen Elternteils berücksichtigt. Die fragliche Position „Erziehung und Kinderbetreuung“ in FAKT2 erweist sich damit als bundesrechtswidrig. Die zuständige IV-Stelle wird weitere Abklärungen zum Hilfebedarf im Bereich „Erziehung und Kinderbetreuung“ treffen und neu entscheiden müssen.

Hier ist die Schlüsselerwägung des Bundesgerichts im Urteil 9C_538/2021 vom 6. September 2022 : «Nach dem Gesagten ist BGE 140 V 543 E. 3.2.2 in dem Sinne zu präzisieren, als FAKT2 kein geeignetes Instrument zur Ermittlung des gesamten Hilfebedarfs einer versicherten Person im Bereich Erziehung und Kinderbetreuung ist. In diesem Punkt kommt den mittels FAKT2 erstellten Abklärungsberichten, die den Verfügungen vom 2. September 2020 zugrunde liegen, keine Beweiskraft zu. Soweit die vorinstanzliche Bestätigung resp. Feststellung des Hilfebedarfs darauf beruht, ist sie bundesrechtswidrig (vgl. vorangehende E. 1.2). Die IV-Stelle wird hinsichtlich des Hilfebedarfs im Bereich Erziehung und Kinderbetreuung weitere Abklärungen zu treffen und erneut über den Anspruch auf Assistenzbeitrag zu entscheiden haben. Insoweit ist die Beschwerde begründet.» (E.4.7)

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