Vorzeitiges Ende des Anspruchs auf Mutterschaftsentschädigung von GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy

Das Bundesgericht weist im Urteil 9C_290/2024 vom 3. Oktober 2024 die Beschwerde „einer Nationalrätin“ im Zusammenhang mit der Beendigung ihres Anspruchs auf Mutterschaftsentschädigung ab. Es erinnert daran, dass die Mutterschaftsentschädigung bei einer Wiederaufnahme der Arbeit durch die Mutter während der 14-wöchigen Anspruchsdauer nur dann weiter bezogen werden kann, wenn es sich um eine marginale Nebentätigkeit mit einem jährlichen Maximallohn von 2’300 Franken handelt. Das ist hier nicht der Fall. Es erstaunt etwas, dass der Name der Nationalrätin vom Bundesgericht nicht publiziert wird, weder in der Medienmitteilung noch im Urteil. Es dürfte doch ein erhebliches öffentliches Interesse daran bestehen bei Parlamentariern, welche Geld vom Volk wollen. Gemäss Blick handelt es sich um die GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. Mit Nichtwissen waren auch die Anwaltsrechnungen von Starsozialversicherungsanwalt Dr. Ueli Kieser nicht von unerheblicher Höhe.

Sachverhalt

Gemäss dem Bundesgesetz über den Erwerbsersatz (EOG) haben Frauen nach der Geburt eines Kindes während 14 Wochen Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung. Der Anspruch endet vorzeitig, wenn die Mutter ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt (Artikel 16d EOG). Das Bundesgericht entschied 2022 (BGE 148 V 253) auf Beschwerde einer Nationalrätin, dass als Erwerbstätigkeit in diesem Sinne auch ein Nationalratsmandat gelte. In der Folge wurde das EOG um den Zusatz ergänzt, dass der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nicht vorzeitig endet, wenn die Mutter als Ratsmitglied an Rats- und Kommissionssitzungen von Parlamenten auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene teilnimmt, an denen eine Vertretung nicht vorgesehen ist.

Noch bevor diese Bestimmung per 1. Juli 2024 in Kraft trat, hatte die Nationalrätin während des Bezugs einer weiteren Mutterschaftsentschädigung an Parlamentssitzungen teilgenommen.

Instanzenzug

Die Ausgleichskasse verpflichtete sie deshalb zur Rückzahlung der seither erhaltenen Mutterschaftstaggelder. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies ihre Beschwerde ab.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 9C_290/2024 vom 3. Oktober 2024

Das Bundesgericht weist im Urteil 9C_290/2024 vom 3. Oktober 2024 ihre Beschwerde ebenfalls ab. Die Nationalrätin hatte implizit verlangt, dass der Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung nur dann ende, wenn die Mutter mit der Erwerbstätigkeit während der 14-wöchigen Bezugsdauer ein Einkommen von über 2300 Franken erzielt. Diese Auffassung steht gemäss Bundesgericht im Widerspruch zu den klaren gesetzlichen Vorgaben. Es bestehen keine triftigen Gründe, um davon abzuweichen.

Etwas anderes lässt sich auch aus dem Entscheid BGE 139 V 250 von 2013 nicht herleiten. Das Bundesgericht kam darin zum Schluss, dass keine Erwerbstätigkeit im Sinne von Artikel 16 EOG vorliege, wenn damit nur ein geringfügiger Lohn erzielt wird (aktuell jährlich 2300 Franken); in diesem Fall sei von einer marginalen Nebentätigkeit auszugehen, die den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nicht vorzeitig beende. Damit wurde aber nicht eine Art „Freibetrag“ für jede Erwerbstätigkeit während des Bezugs der Entschädigung definiert. Im konkreten Fall steht fest, dass es sich beim Nationalratsmandat angesichts des damit erzielten Jahreseinkommens nicht um eine marginale Nebentätigkeit handelt.

Hier sind die Schlüsselausführungen des Bundesgerichts aus diesem Urteil 9C_290/2024 vom 3. Oktober 2024:

«Die Beschwerdeführerin verlangt (zumindest implizit) die Berücksichtigung eines generellen „Freibetrags“ für Erwerbseinkommen resp. für die darauf entfallende Tätigkeit, indem sie trotz Ausübung einer Erwerbstätigkeit während der 14-wöchigen Phase, in der grundsätzlich Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung besteht, ein Anspruchsende verneint, sofern nur das dabei erzielte Einkommen den Grenzbetrag von Fr. 2’300.- nicht erreicht. Mit anderen Worten: Jede anspruchsberechtigte Mutter dürfte in der fraglichen Zeit – wenngleich in begrenztem Ausmass – einer beliebigen Erwerbstätigkeit nachgehen, ohne deswegen ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung zu verlieren. So bliebe die Erwerbstätigkeit etwa bei einem durchschnittlichen Tageseinkommen von Fr. 275.- (das dem seit dem 1. Januar 2023 geltenden maximalen Taggeld von Fr. 220.- und einem Jahreseinkommen von rund Fr. 100’000.- entspricht; vgl. Art. 16e Abs. 2 i.V.m. Art. 16f Abs. 1 EOG) immerhin während bis zu 8,36 Arbeitstagen – und bei niedrigerem durchschnittlichem Tageseinkommen entsprechend länger – ohne Konsequenz für die Mutterschaftsentschädigung.» (E.4.3.1).

«Diese Auffassung steht offenkundig in unauflösbarem Widerspruch zu den klaren Vorgaben von Art. 16c Abs. 2 und Art. 16d Abs. 3 Teilsatz 1 EOG sowie Art. 25 EOV, wonach der Anspruch u.a. vorzeitig endet, wenn die Mutter ihre Erwerbstätigkeit wiederaufnimmt („si la mère reprend une activité lucrative“; „se la madre riprende un’attività lucrativa“), resp. am Tag („le jour“; „il giorno“) der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Triftige Gründe für ein Abweichen vom eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut der genannten Bestimmungen (vgl. BGE 149 I 91 E. 2.2; 142 IV 333 E. 3.2; 140 V 15 E. 5.3.2) sind nicht ersichtlich. Insbesondere leuchtet unter den Gesichtspunkten des Mutterschutzes und der Rechtsgleichheit auch nicht ein, weshalb der Umfang der im geltend gemachten Sinn „folgenlosen“ Erwerbstätigkeit während der 14-wöchigen Mutterschaftsphase umso höher sein soll, je geringer das entsprechende durchschnittliche Tageseinkommen der betroffenen Mutter ist.  Die Auffassung der Beschwerdeführerin lässt sich zudem auch nicht aus der (von ihr ausdrücklich akzeptierten) Rechtsprechung von BGE 139 V 250 herleiten: In diesem Urteil statuierte das Bundesgericht keinen generellen „Freibetrag“ für eine Erwerbstätigkeit während des Bezugs von Mutterschaftsentschädigung. Vielmehr definierte es, was nicht als (teilzeitige) Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 16d Abs. 3 Teilsatz 1 EOG und Art. 25 EOV gilt, nämlich die marginale Nebentätigkeit, aus der höchstens ein geringfügiger Jahreslohn im Sinne von Art. 34d Abs. 1 AHVV resultiert (BGE 139 V 250 E. 4.6). Im genannten Urteil beendete die stundenweise Wiederaufnahme einer Nebentätigkeit den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nicht, weil die Mutter mit dieser Tätigkeit vor der Niederkunft ein Jahreseinkommen von lediglich Fr. 2’059.- erzielt hatte und es sich daher um eine für ein vorzeitiges Anspruchsende nicht zu berücksichtigende marginale Nebentätigkeit handelte (vgl. BGE 139 V 250 Sachverhalt lit. A und E. 4.6 in fine).» (E.4.3.2).

«Im hier zu beurteilenden Fall steht fest, dass die von der Mutter wiederaufgenommene Tätigkeit angesichts des damit erzielten Jahreseinkommens (vgl. vorangehende E. 3.1) keine bloss marginale Nebentätigkeit ist. Die Vorinstanz hat zutreffend erkannt, dass es sich bei der Teilnahme an Parlamentssitzungen um eine (im Teilzeitpensum ausgeübte) Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 16d Abs. 3 Teilsatz 1 EOG und Art. 25 EOV handelt, deren Wiederaufnahme den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung beendet. Daran ändert nichts, dass das Erwerbseinkommen der Beschwerdeführerin während der Phase, in der grundsätzlich Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung bestand, (allenfalls) geringer als Fr. 2’300.- war. Die Ausführungen zur behaupteten vorinstanzlichen „Proratisierung“ des Grenzbetrags von Fr. 2’300.- und deren Zulässigkeit zielen ins Leere, weshalb sich diesbezügliche Weiterungen erübrigen. Die Beschwerde ist unbegründet.» (E.4.4).

Hier geht es zum Blick-Artikel, der Kathrin Bertschy outet: Link.

 

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