Vermutung von missbräuchlichen Mietzinsen

Das Bundesgericht präzisiert im Urteil 4A_183/2020 vom 6. Mai 2021 seine Rechtsprechung zur Frage, welche Partei (Mieter oder Vermieter) im Streitfall zu beweisen hat, ob der Anfangsmietzins für eine Altbauwohnung im Vergleich mit orts- oder quartierüblichen Mietzinsen missbräuchlich ist oder nicht. Gemäss dem neue Urteil ist zu Gunsten des Mieters von der Vermutung eines missbräuchlichen Mietzinses auszugehen, wenn der neue Mietzins gegenüber dem früheren massiv, das heisst um deutlich mehr als 10 Prozent erhöht wurde (hier um 44 Prozent).

Sachverhalt

Eine Frau hatte 2017 in der Stadt Zürich eine 2-Zimmerwohnung für monatlich 1060 Franken netto in einem 1933 erbauten Haus gemietet. Die Vormiete betrug 738 Franken netto. Das Mietgericht Zürich erklärte den Mietzins 2019 als missbräuchlich und legte ihn auf 855 Franken netto fest. Das Zürcher Obergericht wies die Berufung der Vermieterin ab.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Vermieterin teilweise gut und weist die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht zurück.

Gemäss Artikel 270 OR können Mieter den Anfangsmietzins für Wohnräume als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung verlangen, wenn er gegenüber dem früheren Mietzins erheblich erhöht wurde. Ob der Mietzins missbräuchlich ist, beurteilt sich bei Altbauten wie hier anhand des Kriteriums der Orts- oder Quartierüblichkeit. Das ist auf der Basis offizieller Statistiken (im konkreten Fall nicht verfügbar) oder anhand von fünf Vergleichsobjekten zu prüfen.

Frage der Beweislast

Bei der Anfechtung des Anfangsmietzinses hat grundsätzlich der Mieter zu beweisen, dass dieser missbräuchlich ist. In Präzisierung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 139 III 13), ist gemäss dem aktuellen Entscheid jedoch zu Gunsten des Mieters von der Vermutung eines missbräuchlichen Mietzinses auszugehen, wenn der neue Mietzins gegenüber dem früheren massiv, das heisst um deutlich mehr als 10 Prozent erhöht wurde (hier um 44 Prozent).

Diese Vermutung kann sodann vom Vermieter erschüttert werden, wenn es ihm gelingt, an ihrer Richtigkeit mittels Indizien begründete Zweifel zu wecken. Dabei gelten nicht die gleich strengen Anforderungen wie für den Beweis der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses. Denkbar ist beispielsweise, dass der Vermieter auch inoffizielle Statistiken oder andere Wohnobjekte beizieht, welche die Anforderungen bezüglich Vergleichbarkeit nicht vollständig erfüllen. Auch ein Privatgutachten kann allenfalls geeignet sein, die Vermutung zu erschüttern. Ein gewichtiges Indiz gegen die Vermutung eines missbräuchlichen Anfangsmietzinses ist zudem ein lange dauerndes Vormietverhältnis ohne laufende Mietzinserhöhung. Von einem langen Vormietverhältnis ist bei einer Dauer von 15 bis 20 Jahren auszugehen.

Kommt das Gericht zum Schluss, dass es dem Vermieter gelungen ist, die Vermutung eines wegen massiver Mieterhöhung missbräuchlichen Anfangsmietzinses zu erschüttern, entfällt diese. Es obliegt in diesem Fall dem Mieter, auf Basis amtlicher Statistiken oder von fünf Vergleichsobjekten den strikten Beweis zu erbringen, dass die Mietzinserhöhung tatsächlich missbräuchlich ist.

Schlüsselausführungen des Bundesgerichts im Urteil 4A_183/2020 vom 6. Mai 2021

Das Bundesgericht kommt dabei zu den folgenden Schlüsselausführungen: «

Entgegen der missverständlichen Formulierung in BGE 139 III 13 (E. 3.3 und E. 3.4) wonach es der Vermieterin nicht gelungen sei, zu beweisen, dass sich der angefochtene Mietzins in den Grenzen der orts- und quartierüblichen Mieten bewege, ist von der Vermieterin nicht der volle Beweis für die Nichtmissbräuchlichkeit des angefochtenen Mietzinses zu verlangen. Dies würde eine Umkehr der Beweislast oder eine rechtliche Vermutung voraussetzen (vgl. KOLLER, 2013, a.a.O., S. 943 und 945 f.; ebenso BEAT ROHRER, Anfechtung des Anfangsmietzinses, MietRecht Aktuell [MRA] 2013 S. 15 ff., 26;  derselbe, a.a.O., N. 52 zu Art. 270 OR). Wie die Beschwerdeführerin aber zu Recht geltend macht, hält die Botschaft vom 27. März 1985 zur Revision des Miet- und Pachtrechts (BBI 1985 I 1389, 1491 Ziff. 526) ausdrücklich fest, dass der Mieter die Beweislast für die behauptete Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses trägt. Dafür, dass die Beweislast unter gewissen Umständen auf die Vermieterin überwälzt werden könne, enthält der Text der Botschaft keinen Anhaltspunkt. BGE 139 III 13 ist somit dahingehend zu präzisieren, dass es ausreicht, wenn die Vermieterin beim Gericht begründete Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses weckt.» (E.4.2).

«Vorliegend hielt die Vorinstanz fest, die massive Erhöhung von 44 % lasse sich weder durch Entwicklungen des Referenzzinssatzes bzw. der Konsumentenpreise noch durch die lange Dauer des Vormietverhältnisses erklären (vgl. hiervor E. 3.4). Damit hat sie aber nicht geprüft, ob die Beschwerdeführerin begründete Zweifel an der Vermutung der Missbräuchlichkeit im Sinne von E. 4.3 geweckt hat. Die vorinstanzlichen Ausführungen erfolgten vielmehr nur, um die prinzipielle Anwendbarkeit der Vermutung der Missbräuchlichkeit zu begründen. Die Vorinstanz erwog denn auch, die Vermutungsfolge sei die Missbräuchlichkeit des Mietzinses. Es liege demnach eine Rechtsvermutung vor, und zwar in dem Sinne, dass der Nachweis des Anscheins der Missbräuchlichkeit (Vermutungsbasis) auf die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses als solche schliessen lasse (Vermutungsfolge), sodass es der Beschwerdeführerin obliege, Tatsachen zu beweisen, welche dessen Missbräuchlichkeit widerlegen würden. Die Vorinstanz geht somit davon aus, dass der Nachweis der Vermutungsbasis (Anschein der Missbräuchlichkeit) durch den Mieter stets ohne Weiteres auf die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses schliessen lasse, sodass es dann der Vermieterin obliege, Tatsachen zu beweisen, die dies (im Sinne eines Beweises des Gegenteils) widerlegen würden.  

Entgegen der Vorinstanz reicht es aber aus, dass die Beschwerdeführerin Indizien darlegt, welche beim Richter begründete Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung wecken. Die Vorinstanz wird somit anhand ihrer Kenntnis des lokalen Marktes zu beurteilen haben, ob die Beschwerdeführerin in diesem Sinne hinreichende Indizien nachgewiesen hat, um die tatsächliche Vermutung zu erschüttern. Dabei wird insbesondere auch zu berücksichtigen sein, dass die Beschwerdeführerin in einem Privatgutachten 23 Vergleichsobjekte aufgeführt hat, auch wenn diese nicht betreffend allen Kriterien gemäss Art. 11 VMWG dem Vergleichsobjekt entsprechen mögen. Ebenso wird die Vorinstanz zu berücksichtigen haben, dass das Vormietverhältnis fast 20 Jahre dauerte. 

Gelangt die Vorinstanz zum Ergebnis, die Beschwerdeführerin habe begründete Zweifel an der Vermutung der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses geweckt, so entfällt diese. Diesfalls obliegt es der Beschwerdegegnerin, die Missbräuchlichkeit des Mietzinses mithilfe von 5 Vergleichsobjekten nachzuweisen (vgl. hiervor E. 3.2.1 und E. 3.1.2). Misslingt dies, liegt Beweislosigkeit vor, deren Folgen die beweisbelastete Beschwerdegegnerin treffen. Sollten die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Elemente hingegen nicht genügen, um die Vermutung zu entkräften, bleibt es zugunsten der Beschwerdegegnerin bei der Vermutung eines missbräuchlichen Mietzinses. Erst in diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin den Beweis des Gegenteils erbracht hat, das heisst, ob sie mithilfe von 5 Vergleichsobjekten die Orts- und Quartierüblichkeit des Anfangsmietzinses nachgewiesen hat.» (E.4.5)

Kommentare (0)

Wir verwenden Cookies, um unsere Website und Ihr Navigationserlebnis zu verbessern. Wenn Sie Ihren Besuch auf der Website fortsetzen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie hier.

Akzeptieren