Naturschutzorganisationen obsiegen vor Bundesgericht beim Ausbau Grimselstausee

Das Bundesgericht heisst mit Urteil vom 4. November 2020 (1C_356/2019) die Beschwerde von zwei Naturschutzorganisationen im Zusammenhang mit der geplanten Erhöhung der Staumauern des Grimsel-Wasserkraftwerks gut. Die Sache wird an den Berner Regierungsrat zurückgewiesen. Das Projekt bedarf einer Festsetzung im kantonalen Richtplan, damit die verschiedenen Nutz- und Schutzinteressen abgestimmt werden können. In diesem Rahmen ist auch eine Koordination mit dem geplanten Kraftwerk Trift erforderlich.

Prozessgeschichte

Die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) hatte 2010 ein Gesuch um Anpassung und Ergänzung der Gesamtkonzession zur Nutzung der Wasserkraft im Grimselgebiet gestellt. Die KWO beabsichtigt unter anderem, die beiden Staumauern des Grimselstausees zu erhöhen, was eine Mehrspeicherung von 240 Gigawattstunden Energie erlauben soll. Der Grosse Rat des Kantons Bern genehmigte die Konzessionsanpassung 2012 unter Bedingungen und Auflagen.

Auf Beschwerde von mehreren Naturschutzorganisationen hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern 2015 den Beschluss des Grossen Rates auf und wies das Gesuch um Konzessionsanpassung ab.

Das Bundesgericht hiess 2017 die Beschwerde der KWO gut und wies die Sache zur weiteren Behandlung ans Verwaltungsgericht zurück. Das Bundesgericht war zum Schluss gekommen, dass dem beabsichtigten Ausbau des Kraftwerks mit Blick auf den Moorlandschaftsschutz nichts entgegenstehe.

Nach Wiederaufnahme des Verfahrens wies das Verwaltungsgericht die Beschwerden der Naturschutzorganisationen in Bezug auf ihre weiteren Einwände ab.

Urteil des Bundesgerichts vom 4. November 2020 (1C_356/2019

Das Bundesgericht heisst die dagegen erhobene Beschwerde von zwei Naturschutzorganisationen gut. Es hebt den Entscheid des Verwaltungsgerichts auf und weist die Sache zur Neubeurteilung an den Berner Regierungsrat zurück. Angesichts ihrer Bedeutung bedarf die streitige Erweiterung des Grimselstausees einer Grundlage im kantonalen Richtplan.

Bisher ist auf Stufe Richtplan noch keine vollständige Abstimmung der verschiedenen Interessen erfolgt; insbesondere fehlt jegliche Auseinandersetzung mit den dem Projekt entgegenstehenden Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes.

Für die Erhöhung der Grimselstaumauer selber wird von einem nationalen Interesse auszugehen sein; dieses könnte einen Eingriff in das im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung verzeichnete Objekt „Berner Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn-Gebiet“ grundsätzlich rechtfertigen.

Ob allerdings letztlich das Interesse an der Realisierung des Projekts überwiegt, ist anhand der umfassenden Interessenabwägung zu prüfen. Nicht berücksichtigt wurde bisher, dass es sich beim Gletschervorfeld des Unteraargletschers potentiell um eine Aue von nationaler Bedeutung handelt. Einbezogen werden muss weiter das geplante Kraftwerk Trift.

Es ist Sache des kantonalen Richtplans, die beiden Projekte mit ihren gewichtigen Auswirkungen auf Raum und Umwelt im gleichen Gebiet aufeinander abzustimmen; es wird zu entscheiden sein, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Realisierung beider Projekte besteht oder ob nur eines davon oder keines zu verwirklichen ist.

Schliesslich muss im Richtplan- und Konzessionsverfahren auch der voraussichtliche Realisierungszeitpunkt berücksichtigt werden. Wird die Gesamtkonzession für das Grimselkraftwerk erweitert, muss eine Frist für den Ausbau und den Betrieb des Grimselstausees vorgesehen werden. Ist dies noch nicht möglich, ist eine Konzessionierung zum heutigen Zeitpunkt ausgeschlossen.

Schlüsselausführungen des Bundesgerichts

«Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid schon wegen der fehlenden Richtplanfestsetzung aufzuheben. Dabei handelt es sich nicht um eine blosse Formalie; dem Richtplan kommt vielmehr zentrale Bedeutung als Abstimmungsinstrument für Vorhaben mit bedeutsamen Auswirkungen auf Raum und Umwelt (Art. 8 Abs. 2 RPG) und als Planungsinstrument für den Ausbau der Wasserkraft (Art. 8b RPG; Art. 10 EnG) zu. Dies gilt insbesondere, wenn sich – wie vorliegend – Nutz- und Schutzinteressen von nationaler Bedeutung gegenüberstehen. Erforderlich ist zudem eine Abstimmung mit dem Kraftwerk Trift. 

Im Übrigen leiden auch die vom Grossen Rat und vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Interessenabwägungen an einem erheblichen Mangel, weil die potenziell nationale Bedeutung der alpinen Schwemmfläche im Gletschervorfeld des Unteraargletschers nicht berücksichtigt wurde. 

Schliesslich stellt sich die Frage, ob eine Konzession für die Erhöhung des Grimselsees zum heutigen Zeitpunkt erteilt werden kann, wenn deren Realisierung auf unbestimmte Zeit verschoben worden ist.» (E.7).

«Aus allen diesen Gründen rechtfertigt es sich, den angefochtenen Entscheid und den Beschluss des Grossen Rats vom 5. September 2012 aufzuheben. Die Sache ist an den Regierungsrat zurückzuweisen. Dieser wird zunächst prüfen müssen, ob und inwiefern das Massnahmenblatt C-18 (Zwischenergebnis Grimselseeerhöhung und Vororientierung Kraftwerk Trift) anzupassen ist, um anschliessend, im Lichte des Richtplanentscheids, dem Grossen Rat einen neuen Antrag zum Konzessionsgesuch der KWO zu übermitteln.» (E.7.1).

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