Kein Medienprivileg bei Teilen von ehrverletzendem Beitrag auf Facebook

Das Bundesgericht hat im Urteil vom 18. November 2020 (6B_440/2019) entschieden, dass es keine Anwendung des „Medienprivilegs“ bei Teilen auf Facebook einen fremden, bereits veröffentlichten und ehrverletzenden Beitrag gibt. Die einen ehrletzenden Beitrag teilende Person kann sich nicht auf das „Medienprivileg“ berufen, wonach nur der Autor strafrechtlich belangt werden kann. Das Bundesgericht weist die Beschwerde eines Facebook-Nutzers in diesem Punkt ab.

Sachverhalt im Urteil vom 18. November 2020 (6B_440/2019) 

Der betreffende Facebook-Nutzer hatte 2015 einen fremden Beitrag auf Facebook geteilt, in dem ein Tierschützer als „mehrfach verurteilter Antisemit“ und der vom ihm präsidierte Verein als „antisemitische Organisation“ und „neonazistischer Tierschutzverein“ bezeichnet wurde. Einleitend zur Verlinkung schrieb der Facebook-Nutzer einen Kommentar. Der von ihm geteilte Text und der Kommentar wurden von Freunden des Facebook-Nutzers wahrgenommen und diskutiert.

Verfahrensgeschichte

2019 sprach ihn das Obergericht des Kantons Bern für die Vorwürfe gegenüber dem Tierschützer und dem Verein der Weiterverbreitung einer üblen Nachrede schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe.

Entscheid des Bundesgerichts im Urteil vom 18. November 2020 (6B_440/2019)

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Facebook-Nutzers teilweise gut, hebt das Urteil des Obergerichts auf und weist die Sache zur Neubeurteilung in einem Punkt an dieses zurück. Abgewiesen hat es die Beschwerde, soweit sich der Betroffene auf das „Medienprivileg“ gemäss Artikel 28 des Strafgesetzbuches (StGB) beruft. Nach dieser Bestimmung macht sich bei einer strafbaren Handlung, begangen durch die Veröffentlichung in einem Medium, grundsätzlich nur der Autor des Beitrags strafbar.

Die Bestimmung geht von einem weiten Medienbegriff aus; Facebook ist im vorliegenden Zusammenhang zwar als Medium zu erachten. Allerdings gilt das Medienprivileg nur für diejenigen Personen, die notwendigerweise innerhalb der für das Medium typischen Herstellungs- und Verbreitungskette tätig sind, was in jedem Einzelfall abzuklären ist.

Vorliegend war der Beschwerdeführer nicht mehr Teil der Verbreitungs- und Herstellungskette. Der fragliche Artikel wurde von seinem Hersteller mit einem „Post“ in Verkehr gesetzt und stand nicht mehr unter dessen Kontrolle. Mit dem „Teilen“ durch den Beschwerdeführer wurde lediglich ein bereits veröffentlichter Artikel verlinkt. Eine Anwendung des „Medienprivilegs“ fällt damit ausser Betracht.

Recht gegeben hat das Bundesgericht dem Beschwerdeführer zunächst bezüglich seines Schuldspruchs für die weiterverbreitete Aussage „mehrfach verurteilter Antisemit“. Aufgrund von jüngeren Aussagen des Tierschützers ist der Beweis erbracht, dass dieser zum Tatzeitpunkt eine antisemitische Haltung verfolgt hat. Die Behauptung „mehrfach verurteilt“ ist zwar tatsachenwidrig.

Allerdings hat sich der Tierschützer in einem Zeitungsinterview von 2014 selber bezichtigt, mehrfach verurteilt worden zu sein. Dem Beschwerdeführer war es erlaubt, diese Aussage zu verbreiten.

Bezüglich des Vorwurfs gegen den Verein wird die Sache zu neuem Entscheid ans Obergericht zurückgewiesen. Es wird darlegen müssen, ob und gegebenenfalls welche Äusserungen des Tierschützers dem Verein zuzurechnen sind oder ob sich die dem Verein vorgeworfene Haltung anders manifestiert hat.

Das Bundesgericht hat sich bereits kürzlich in einem Urteil zur Strafbarkeit geäussert, die sich für einen Facebook-Nutzer ergeben kann, wenn er einen ehrverletzenden Beitrag eines Dritten teilt oder mit einem „Gefällt mir“ markiert (BGE 146 IV 23). Es hielt fest, dass dies grundsätzlich eine strafbare Weiterverbreitung einer üblen Nachrede darstellen könne (Artikel 173 StGB), indessen einer Betrachtung im Einzelfall bedürfe. Eine strafbare Weiterverbreitung liege vor, wenn der ehrverletzende Vorwurf durch Drücken des „Gefällt mir“- oder „Teilen“-Buttons für Dritte sichtbar und von diesen wahrgenommen werde

Kernausführungen des Bundesgerichts:

«Die Anwendbarkeit von Art. 28 StGB bedingt zusätzlich, dass sich die strafbare Handlung in der Veröffentlichung erschöpft („consommée“; „consumato“). Darunter ist die Deliktsvollendung zu verstehen (DONATSCH/TAG, a.a.O., S. 206; WOHLERS, a.a.O., N. 3 zu Art. 28 StGB; SCHWARZENEGGER, Anwendungsbereich, a.a.O., S. 178 f.). Art. 28 StGB privilegiert dabei alle innerhalb der für das Medium typischen Herstellungs- und Verbreitungskette notwendigerweise tätigen Personen (BGE 128 IV 53 E. 5e; 86 IV 145 E. 1; 73 IV 65; BBl 1996 550 f.; STÉPHANIE MUSY, La répression du discours de haine sur les réseaux sociaux, SJ 2019 II S. 14; WERLY, a.a.O., N. 22 ff. zu Art. 28 StGB; einschränkend SCHWARZENEGGER, Anwendungsbereich, a.a.O., S. 176 f.). Ohne diese im Einzelfall weitreichende Erfassung gewisser mit der Veröffentlichung zusammenhängender Beiträge und Hilfstätigkeiten, könnten Medienschaffende ihre Aufgaben nicht in angemessener Weise erfüllen. So sind nach der Rechtsprechung Mitglieder einer politischen Partei von der Strafbarkeit ausgenommen, die sich als Plakatierer im Rahmen eines Abstimmungskampfes beteiligen (BGE 128 IV 53) oder Broschüren verteilen (BGE 74 IV 129). Übernimmt dagegen ein Redaktor die ehrverletzende Meldung einer Nachrichtenagentur und veröffentlicht er sie in seiner Zeitung, begeht er ein eigenständiges Delikt (BGE 82 IV 71 E. 4). Er ist nicht Teil der ersten Herstellungs- und Verbreitungskette und das erste Delikt ist bereits vollendet (vgl. MUSY, a.a.O., S. 15). Insofern wird zwar der Verbreiter, nicht aber der Weiterverbreiter nach Art. 173 StGB von Art. 28 StGB erfasst. Der weite Medienbegriff bedingt, dass im Einzelfall geprüft werden muss, wer Teil der medientypischen Herstellungs- und Verbreitungskette ist.» (E.5.5).»

Weiter führt das Bundesgericht aus:

«Bei Facebook handelt es sich um einen sozialen Netzwerkdienst, der darauf ausgerichtet ist, eine schnelle und weitreichende Kommunikation zu ermöglichen (BGE 146 IV 23 E. 2.2.3 mit Hinweis). Der auf Facebook aufgeschaltete Beitrag des Beschwerdeführers richtete sich an ungefähr 2’500 Personen. Der Beschwerdeführer hat folglich einem breiten Personenkreis die Möglichkeit der Kenntnisnahme eröffnet. Ob der Beitrag tatsächlich zur Kenntnis genommen wurde, ist bei der Veröffentlichung im Sinne von Art. 28 StGB nicht von Bedeutung (DONATSCH/TAG, a.a.O., S. 205; SCHWARZENEGGER, Anwendungsbereich, a.a.O., S. 177). Das „Teilen“ des Artikels von „Indyvegan“ auf Facebook als Medium steht der Anwendung von Art. 28 StGB daher im vorliegenden Fall nicht entgegen. Entscheidend ist jedoch die Frage, ob sich der Beschwerdeführer noch innerhalb der medientypischen Herstellungs- und Verbreitungskette bewegte. Dies ist zu verneinen. Der Ausgangsartikel wurde mit dem entsprechenden „Post“ von „Indyvegan“ in Verkehr gesetzt und stand damit nicht mehr unter der Kontrolle des Herstellers. Mit dem „Teilen“ wurde lediglich ein fremder bereits veröffentlichter Beitrag verlinkt. Der Rechtsstandpunkt der Vorinstanz erweist sich damit als zutreffend. Eine privilegierte Teilnahme im Sinne von Art. 28 StGB fällt ausser Betracht.» (E.5.6).

Schliesslich kommt das Bundesgericht zur folgenden Schlussfolgerung:

«Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist im Umfang der Gutheissung aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird. Die Prüfung der weiteren vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen entfällt. Die Parteien werden im Umfang ihres Unterliegens kostenpflichtig.» (E.6. a.A.).

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