Baselstädtische Initiative „Grundrechte für Primaten“ ist gemäss Bundesgericht gültig

Das Bundesgericht weist im Urteil vom 16. September 2020 (1C_105/2019) die Beschwerde gegen die Zulässigerklärung der baselstädtischen Volksinitiative „Grundrechte für Primaten“ ab. Dem Text der Initiative kann ein Sinn beigemessen werden, der mit übergeordnetem Recht vereinbar ist, zumal unmittelbar nur kantonale und kommunale Organe gebunden würden. Der Umstand, dass der Initiative durch die Begründung der Initianten mehr Bedeutung gegeben wird, als ihr tatsächlich zukommen kann, vermag eine Ungültigerklärung nicht zu rechtfertigen.

Prozessgeschichte

Die im Kanton Basel-Stadt lancierte Initiative „Grundrechte für Primaten“ war 2017 zustande gekommen. Sie verlangt folgende Ergänzung der Kantonsverfassung: „Diese Verfassung gewährleistet überdies: Das Recht von nichtmenschlichen Primaten auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrtheit“.

Nachdem der Grosse Rat die Initiative 2018 für ungültig erklärt hatte, hiess das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt 2019 eine Beschwerde gut und erklärte die Initiative für zulässig.

Urteil des Bundesgerichts

Das Bundesgericht weist an seiner öffentlichen Beratung vom Mittwoch die dagegen erhobene Beschwerde von sechs Personen im Urteil vom 16. September 2020 (1C_105/2019) ab. Kann einer Initiative ein Sinn beigemessen werden, der sie nicht klarerweise als unzulässig erscheinen lässt, ist sie nach dem Grundsatz „in dubio pro populo“ als gültig zu erklären.

Die Beschwerdeführer vertreten die Ansicht, dass die Initiative gegen übergeordnetes Recht, also gegen Bundesrecht verstosse. Das ist nicht der Fall. Kantone dürfen grundsätzlich über den von der Bundesverfassung garantierten Schutz hinausgehen. Mit der Initiative wird sodann nicht die Anwendung von für Menschen geltenden Grundrechten auf Tiere verlangt, sondern die Einführung von speziellen, für nichtmenschliche Primaten geltenden Rechten. Das ist zwar ungewöhnlich, widerspricht aber an sich nicht übergeordnetem Recht, zumal die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Rechten für Tiere und den menschlichen Grundrechten damit nicht in Frage gestellt wird.

Der Wortlaut der Initiative ist zudem so zu verstehen, dass mit ihr nur die kantonalen und kommunalen Organe direkt verpflichtet würden, nicht aber unmittelbar Private. Dem Initiativtext kann somit ein Sinn beigemessen werden, der die Initiative als gültig erscheinen lässt.

Zwar gibt die Begründung der Initiantinnen und Initianten, wie sie auf dem Unterschriftenbogen der Initiative abgedruckt ist, dieser eine Bedeutung, die ihr nach Bundesrecht gar nicht zukommen kann. Namentlich wird nicht erwähnt, dass die als Grundrechte formulierten Rechte in erster Linie die kantonalen Organe und die Gemeinden binden würden.

Mit Blick auf die Tierschutzgesetzgebung des Bundes könnte sie – wenn überhaupt – nur eine stark eingeschränkte und mittelbare Wirkung auf Privatpersonen und Unternehmen haben.

Weiter wird von den Initianten der Eindruck vermittelt, mit Annahme der Initiative würde der Schutz der derzeit im Kanton lebenden Primaten unmittelbar verbessert. Dieses Versprechen kann die Initiative nicht halten: Der Kanton und seine Organisationseinheiten – etwa die Universität oder die Spitäler – sowie die Gemeinden halten offenbar keine Primaten; sodann werden private Forschungseinrichtungen oder der als Aktiengesellschaft organisierte Basler Zoologische Garten durch die Initiative nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, gebunden. Dies kann den Stimmberechtigten im Vorfeld einer Volksabstimmung von der für die Information zuständigen Behörde indessen einfach vermittelt werden.

Kernausführungen des Bundesgerichts im Detail

Im Verfahren vor der Vorinstanz war unbestritten, dass die nichtmenschlichen Primaten in Basel nicht zu Rechtsubjekten des Privatrechts erhoben werden sollen, sondern nur die Einführung von speziellen, nur für nichtmenschliche Primaten geltenden Rechte: „Im Verfahren vor Bundesgericht unbestritten ist, dass nichtmenschliche Primaten mit der Annahme der umstrittenen Initiative nicht zu Rechtssubjekten des Privatrechts (vgl. Art. 11 und Art. 53 ZGB) erhoben würden (vgl. dazu auch SASKIA STUCKI, Grundrechte für Tiere, 2016, S. 177 mit Hinweisen). Mit der Initiative „Grundrechte für Primaten“ verlangt wird sodann nicht die von einem Teil der Lehre für problematisch eingestufte Anwendung von bestehenden, für Menschen geltende Grundrechte auf bestimmte Tiere (vgl. dazu die Hinweise bei STUCKI, a.a.O., S. 349 ff.), sondern die Einführung von speziellen, nur für nichtmenschliche Primaten geltenden Rechte. Die Gewährleistung solcher spezieller Rechte im öffentlich-rechtlichen Bereich für bestimmte Tiere durch einen Kanton würde zwar ungewohnt erscheinen, da die bestehenden Grundrechte der Bundesverfassung und der EMRK anthropologisch ausgerichtet sind (vgl. aber immerhin Art. 120 Abs. 2 BV zur Würde der Kreatur im Bereich der Gentechnologie). Sie widerspricht jedoch an sich nicht übergeordnetem Recht, zumal damit nicht auf Menschen zugeschnittene Grundrechte mit einer langen Tradition auf Tiere ausgeweitet werden sollen und die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Rechten für Tiere und menschlichen Grundrechten nicht in Frage gestellt wird (gleicher Ansicht GLASER/LEHNER, a.a.O., S. 727).“ (E.8.2).

Das Bundesgericht äussert sich wie folgt zum Inhalt der Initiative: „Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat (vgl. Art. 35 Abs. 2 BVBGE 138 I 225 E. 3.5 S. 229 mit Hinweisen). Immerhin erscheint eine mittelbare Anwendung von Grundrechten auf das Verhältnis zwischen Privatpersonen namentlich bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen des Privatrechts nicht ausgeschlossen (BGE 143 I 217 E. 5.2 S. 218 f. mit Hinweisen) und sorgen die Behörden gemäss Art. 35 Abs. 3 BV dafür, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden.  Der grundsätzlich verbindliche Wortlaut der Initiative „Grundrechte für Primaten“ muss von den Stimmberechtigten und den potentiellen Adressaten vernünftigerweise so verstanden werden, dass mit ihr – wie dies bei kantonalen Grundrechten üblich ist – im Sinne eines Abwehrrechts gegen den Staat primär die kantonalen und kommunalen Organe verpflichtet werden. Unter Berücksichtigung des der Rechtsordnung zugrunde liegenden Verständnisses von Grundrechten kann der Text der Initiative „Grundrechte für Primaten“ nicht so verstanden werden, dass die Bestimmung zum Schutz nichtmenschlicher Primaten entgegen der primären Funktion von Grundrechten auch für Privatpersonen unmittelbar bindend wäre. Wie die Vorinstanz mit überzeugender Argumentation festgestellt hat und von den Beschwerdeführern nicht substanziiert bestritten wird, steht die Einführung eines im erwähnten Sinne verstandenen speziellen Abwehrrechts gegen den Staat für nichtmenschliche Primaten auf körperliche und geistige Unversehrtheit nicht im Widerspruch zu übergeordnetem Recht. Dass nichtmenschliche Primaten, die mit der umstrittenen Bestimmung geschützt werden sollen, nicht im Sinne von Art. 11 ZGB rechtsfähig sind, und dass sie keine privatrechtlichen Rechtssubjekte sind, ändert daran nichts. Dem Initiativtext kann somit ein Sinn beigemessen werden, der die Initiative als gültig erscheinen lässt (vgl. auch BGE 125 I 227 E. 5 ff.).“ (E.8.3).

Das Bundesgericht hat weiter erklärt, dass bei der Prüfung einer Initiative ist grundsätzlich vom Wortlaut der Initiative abzustellen und nicht auf den subjektiven Willen der Initianten: „Auch wenn die auf dem Unterschriftenbogen abgedruckte Begründung zur Initiative „Grundrechte für Primaten“ teilweise fragwürdig und irreführend ist, rechtfertigt es sich im Unterschied zur in BGE 139 I 292 beurteilten Initiative unter den gegebenen Umständen nicht, bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Initiative mit übergeordnetem Recht von den gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts geltenden Grundsätzen der Auslegung von Initiativen abzuweichen, wonach grundsätzlich vom Wortlaut der Initiative auszugehen und nicht auf den subjektiven Willen der Initianten abzustellen ist (vgl. E. 6.2 hiervor). Die Vorbehalte bezüglich der Begründung auf dem Unterschriftenbogen betreffen nicht die Stossrichtung des Anliegens, sondern die Grösse des Anwendungsbereichs der geforderten Bestimmung. Die Stossrichtung der Initiative ergibt sich aus dem Initiativtext selber. Es ist sodann davon auszugehen, dass die Initiantinnen und Initianten bzw. die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Initiative jedenfalls auch die kantonalen Organe sowie die Gemeinden zu einem gegenüber dem geltenden Tierschutzrecht des Bundes verstärkten Schutz nichtmenschlicher Primaten verpflichten wollen. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Kanton und die Gemeinden derzeit offenbar keine nichtmenschlichen Primaten halten, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass sich dies dereinst ändern könnte. Welche Anliegen die Initiantinnen und Initianten bzw. die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Initiative sonst noch verfolgen, ist im Detail nicht einfach zu eruieren, aber unter den vorliegend gegebenen Umständen auch nicht relevant. Dass die mit der Initiative verlangte Bestimmung juristische und natürliche Personen des Privatrechts im Unterschied zu dem, was die Begründung der Initiantinnen und Initianten impliziert, nicht bzw. jedenfalls nicht unmittelbar binden würde, kann den Stimmberechtigten im Vorfeld einer Volksabstimmung von der für die Information der Stimmberechtigten zuständigen Behörde einfach vermittelt werden. Den Stimmberechtigten ist zuzutrauen, entsprechende behördliche Informationen in ihren Entscheid für eine Zustimmung oder Ablehnung des Initiativbegehrens einfliessen zu lassen, die Begründung der Initiantinnen und Initianten kritisch zu hinterfragen und zwischen dem massgeblichen Initiativtext einerseits und der Begründung der Initiantinnen und Initianten andererseits zu unterscheiden.“ (E.9.3).

Das Bundesgericht kommt zur folgenden Schlussfolgerung: „Nach dem Ausgeführten kann der kantonalen Volksinitiative „Grundrechte für Primaten“ ein Sinn beigemessen werden, der sie nicht als unzulässig erscheinen lässt. Die Vorinstanz hat weder Art. 34 BV noch § 48 Abs. 2 lit. a KV/BS verletzt, indem sie die Initiative für zulässig erklärt hat. Die Beschwerde ist abzuweisen.“ (E.10).

 

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