Absolute Unverwertbarkeit von Geständnis durch unzulässige Druckausübung

Ein Geständnis, das im Rahmen einer verdeckten Ermittlung durch unzulässige Druckausübung auf die betroffene Person erlangt wurde, darf gemäss dem Urteil 6B_210/2021 vom 24. März 2022 des Bundesgerichts nicht für die Verurteilung verwendet werden. Das ergibt sich aus der grundsätzlichen Bedeutung des Rechts, sich nicht selber belasten zu müssen. Das Bundesgericht weist eine Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 24. September 2020 ab.

Verfahrenszug

Das Obergericht des Kantons Zürich hatte einen Mann im September 2020 vom Vorwurf des Mordes an seiner Ehefrau freigesprochen. Das Opfer war 2009 vor der ehelichen Wohnung aus kurzer Distanz erschossen worden. Das Obergericht erachtete bei seinem Entscheid ein Geständnis des Beschuldigten für unverwertbar, dass er 2015 im Rahmen einer verdeckten Ermittlung abgelegt hatte. Ein verdeckter Ermittler hatte zu dem Mann zunächst eine Freundschaft aufgebaut. In der Folge trat eine verdeckte Ermittlerin als Wahrsagerin auf. Die Beiden machten sich gezielt die Angst des Mannes vor übersinnlichen Mächten zu nutze; namentlich nutzten sie seinen Glauben an die Existenz eines bösen Geistes des Opfers. Sie boten ihm Schutz, wenn er reinen Tisch mache und sein Herz öffne. Der Betroffene legte schliesslich gegenüber dem „Freund“ ein Geständnis ab.

Die Oberstaatsanwaltschaft gelangte gegen den Freispruch mit Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 24. September 2020 (SB180485-O/U/cwo) ans Bundesgericht. Sie argumentierte im Wesentlichen, dass die verdeckte Ermittlung keinen Verstoss gegen das Fairnessgebot darstelle. Selbst wenn die Ermittler die Grenze des Zulässigen überschritten hätten, wäre dies einzig bei der Strafzumessung zu berücksichtigen; das Geständnis an sich müsse verwertbar bleiben.

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_210/2021 vom 24. März 2022

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_210/2021 vom 24. März 2022 die Beschwerde der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft ab.

Der Einsatz verdeckter Ermittler zur Aufklärung einer bereits begangenen Straftat ist grundsätzlich zulässig. Dabei dürfen auch Aussagen der Zielperson erlangt werden, mit denen sie sich selber belastet. Ein gewisses Mass an Täuschung ist Teil einer verdeckten Ermittlung und grundsätzlich rechtmässig. Die verdeckte Ermittlung darf allerdings nicht zu einer Umgehung des Rechts auf Aussageverweigerung und auf Bestreitung der Vorwürfe führen, indem die betroffene Person zu entsprechenden Äusserungen genötigt wird.

Hier ist das Obergericht davon ausgegangen, dass unzulässiger Druck ausgeübt wurde. Insbesondere hätten die Ermittler auf das Herbeiführen einer Situation hingearbeitet, in welcher dem Mann das Geständnis als einzige Möglichkeit erschienen sei, für sich und seine Kinder Schutz zu finden. Durch Ausnutzung seines Glaubens an übersinnliche Kräfte und das gezielte Schüren von Ängsten hätten sie ihn unter massivem psychischem Druck zu einem Geständnis gedrängt.

Die von der Oberstaatsanwaltschaft dagegen erhobenen Einwände genügen gemäss dem Bundesgericht den Begründungsanforderungen nicht.

Auszugehen ist deshalb davon, dass das Fairnessgebot vorliegend verletzt wurde. Die Konsequenz dieser verbotenen Beweiserhebungsmethode ist die Unverwertbarkeit des Geständnisses und nicht eine blosse Strafminderung. Ausschlaggebend ist dabei der hohe Stellenwert, der dem Recht auf Schweigen zukommt sowie dem Recht, sich nicht selber belasten zu müssen. Diese Rechte gehören zum Kern des Anspruchs auf ein faires Verfahren, was sich in der Strafprozessordnung an verschiedenen Stellen widerspiegelt. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der Beweiswert solcher Geständnisse unter Umständen fraglich ist. Je nach ausgeübtem Druck können selbst Unschuldige dazu gebracht werden, ein falsches Geständnis abzulegen.

Hier sind die Schlüsselausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_210/2021 vom 24. März 2022: «Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Art. 140 StPO bei der Anordnung einer verdeckten Ermittlung gewisse Einschränkungen erfährt, indem das Täuschungsverbot zumindest punktuell durchbrochen wird. Dies bedeutet aber nicht, dass die übrigen Garantien von Art. 140 Abs. 1 StPO (Verbot von Zwangsmitteln, Gewaltanwendung, Drohungen, Versprechungen und Mitteln, welche die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit einer Person beeinträchtigen können) ihren Geltungsanspruch verlieren würden. Auch bei einer verdeckten Ermittlung setzt die Verwertbarkeit eines Beweismittels voraus, dass die Vorgaben von Art. 140 StPO – mit gewisser Relativierung hinsichtlich des Täuschungsverbots – eingehalten werden. Die verdeckte Ermittlung darf nicht dazu missbraucht werden, Art. 140 und Art. 141 Abs. 1 StPO sowie das Aussageverweigerungsrecht im Besonderen zu umgehen. Art. 293 Abs. 4 StPO regelt nur, wie bei übermässiger Einwirkung auf die Tatbereitschaft und den Tatentschluss zu verfahren ist. Die Bestimmung befasst sich indes nicht mit verbotenen Beweiserhebungsmethoden. Kamen solche zur Anwendung bzw. wurde das Selbstbelastungsprivileg verletzt, ist auch bei einer verdeckten Ermittlung Art. 141 Abs. 1 StPO massgeblich und es greift ein absolutes Verwertungsverbot.» (E.2.8.8).

«Vorliegend erfolgte das Geständnis des Beschwerdegegners gegenüber „C. “ nicht aus eigener Initiative und freien Stücken, sondern als Resultat einer von den verdeckten Ermittlern geschickt aufgebauten inneren Zwangslage, sukzessive genährten Angst und stetig intensivierten Drucksituation. Sein Aussageverweigerungsrecht wurde unterlaufen. Die Vorgehensweise der verdeckten Ermittler ist mit dem Fairnessgebot (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) nicht vereinbar und als verbotene Beweiserhebungsmethode im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO einzustufen. Das aus der verdeckten Ermittlung hervorgegangene Geständnis des Beschwerdegegners ist daher unverwertbar im Sinne von Art. 141 Abs. 1 StPO.» (E.2.9)

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