Sachverhalt
Die Ukraine stellte nach der 2014 erfolgten Absetzung des damaligen Präsidenten Viktor Yanukovich mehrere Rechtshilfegesuche an die Schweiz. Sie bezogen sich auf Personen aus dem politischen Umfeld von Viktor Yanukovich. Diese werden im Wesentlichen verdächtigt, sich zu Lasten des Staates ungesetzlich bereichert bzw. Bestechungsgelder angenommen zu haben. Das Bundesamt für Justiz ordnete in diesem Rahmen die Sperrung verschiedener Bankkonten an, an denen die betroffenen Personen (oder ihnen nahestehende Personen) wirtschaftlich berechtigt waren. Nach dem Beginn des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine im Februar 2022 gingen die Bundesbehörden davon aus, dass die Einziehung der gesperrten Vermögenswerte auf dem Rechtshilfeweg in den konkreten Fällen nicht mehr möglich sein werde.
Instanzenzug
Der Bundesrat ordnete daher ihre Sperrung gestützt auf das Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG) an. Damit soll sichergestellt werden, dass die Vermögenswerte nicht abgezogen werden, bevor über ihre Einziehung nach diesem Gesetz entschieden werden kann.
Das Bundesverwaltungsgericht wies 2024 mehrere Beschwerden gegen die vom Bundesrat verfügten Kontensperren ab.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 1C_435/2024, 1C_604/2024, 1C_610/2024 vom 19. Mai 2025
Das Bundesgericht weist die dagegen erhobenen Beschwerden (in den Hauptpunkten) ebenfalls ab. Die Voraussetzungen für die bundesrätliche Sperrung der Konten gemäss SRVG sind erfüllt. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die zuständigen ukrainischen Behörden in den konkret zu beurteilenden Fällen nicht in der Lage sind, die Anforderungen an ein Rechtshilfeverfahren in Strafsachen zu erfüllen. Ob die fraglichen Vermögenswerte tatsächlich illegaler Herkunft sind, ist erst im Rahmen des späteren Einziehungsverfahrens zu klären.
Hier sind einige der interessantesten Ausführungen des Bundesgerichts:
«Das Bundesverwaltungsgericht stützte sich in erster Linie auf die 2023 eingeholten Berichte der schweizerischen Botschaft in der Ukraine, des Basel Institute on Governance und der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft. Diese sind im Folgenden zusammenzufassen […], bevor auf die Sachverhaltsrügen der Beschwerdeführerinnen einzugehen ist […].» (E.5).
«Der 16-seitige Bericht der schweizerischen Botschaft vom 16. November 2023 zur Funktionalität der ukrainischen Justizbehörden ab 2014 zeigt detailliert die Anstrengungen auf, die nach der Revolution von 2014 zur Korruptionsbekämpfung in der Ukraine unternommen wurden, aber auch die immer wieder auftretenden Rückschläge und Hindernisse. So sei es immer wieder zu Machtkämpfen innerhalb der Generalstaatsanwaltschaft, zwischen der „alten Garde“ und dem „reformorientierten Team“, sowie zwischen den Institutionen, insbesondere der Generalstaatsanwaltschaft, dem NABU, der National Agency for Preventing Corruption (NAPC) und dem State Bureau of Investigation (SBI) gekommen. Ende 2017/Anfang 2018 habe der Konflikt zwischen NABU und Generalstaatsanwaltschaft seinen Höhepunkt erreicht, als die beiden Behörden Strafverfahren gegeneinander eingeleitet hätten. Auch NABU und SAPO seien in interne Streitigkeiten und Machtkämpfe verwickelt gewesen, anstatt gemeinsam gegen die Korruption auf höchster Ebene vorzugehen: So habe das NABU monatelang das Büro des Leiters der SAPO abgehört und am 30. März 2018 ein Disziplinarverfahren gegen diesen angestrengt. Im Oktober 2017 habe das ukrainische Parlament eine Justizreform mit mehreren tausend Gesetzesänderungen beschlossen. Eine dieser Änderungen habe verkürzte Ermittlungsfristen eingeführt, die zur Einstellung verschiedener Korruptionsstrafverfahren hätten führen können. Sodann seien immer wieder Fälle bekannt geworden, die auf eine selektive Justiz gegen Reformer und Bürgerrechtler hingedeutet hätten. Die Verurteilungen wegen Korruption hätten Beamte der Strafverfolgungsbehörden, des Militärs und der Kommunalverwaltungen betroffen; dagegen sei kein ukrainischer Spitzenpolitiker vor Gericht gestellt worden. Ende 2017 habe der damalige Präsident Poroschenko eine Dringlichkeitsvorlage zur Errichtung eines Hohen Anti-Korruptionsgerichtshofs (HACC) eingebracht, die national und international stark kritisiert worden sei, weil diese nicht den Empfehlungen der Venedig-Kommission an ein unabhängiges und wirksames Gericht entsprochen habe. Dennoch sei der Gesetzesentwurf am 1. März 2018 vom Parlament verabschiedet worden. Auf enormen innen- und aussenpolitischen Druck hin seien am 7. Juni 2017 und 13. Juli 2018 Verbesserungen beschlossen worden. Der neu eingerichtete HAAC habe am 5. September 2019 seine Arbeit aufgenommen. 2019 seien weitere Justizreformen erfolgt, mit denen NABU und SBI das Recht eingeräumt worden sei, Telefongespräche eigenständig abzuhören; allerdings sei – entgegen den Forderungen der Anti-Korruptionskräfte – die Immunität der Abgeordneten de facto unangetastet geblieben. 2020 habe sich eine grosse Allianz von ukrainischen Oligarchen und von Anhängern des alten Systems gegen die von den westlichen Geldgebern unterstützten Reformen gestellt. Angriffe auf die Anti-Korruptions-Architektur der Ukraine hätten sich gehäuft, mit dem Ziel, die Ermittlungen gegen Veruntreuungen einzustellen. Gestützt auf Petitionen von Abgeordneten der prorussischen Opposition habe das ukrainische Verfassungsgericht (CCU) das Präsidialdekret zur Ernennung des Direktors des NABU sowie wichtige Bestimmungen der ukrainischen Antikorruptionsgesetzgebung für verfassungswidrig und ungültig erklärt. Damit seien die wichtigsten Errungenschaften der Bemühungen zur Bekämpfung der Korruption im Zeitraum 2014 – 2020 zunichte gemacht worden. In einem wichtigen Korruptionsfall gegen den stellvertretenden Leiter des Präsidialamtes habe die Generalstaatsanwaltschaft den Antrag auf Verhaftung zurückgezogen, die Staatsanwälte ausgetauscht und schliesslich die Ermittlungen dem NABU entzogen und auf den Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) verlagert. Auch in anderen Korruptionsfällen seien formelle Anklagen gegen Verdächtige von der Generalstaatsanwaltschaft unterbunden worden. Zu Beginn des Jahres 2021 hätten die oligarchischen Kräfte einen grossen Teil der ukrainischen Behörden kontrolliert und die reformistischen Kräfte mehr und mehr in die Defensive gedrängt. Am 15. Februar 2021 habe die Regierung ein neues Gesetz vorgeschlagen, das die Unabhängigkeit des NABU ernsthaft hätte untergraben können. Das vom Parlament am 19. Oktober 2021 angenommene Gesetz zur Neuregelung des Status des NABU (das Voraussetzung für die Freigabe der Kredite des Internationalen Währungsfonds IWF gewesen sei) sei dagegen als positiver Schritt zur Korruptionsbekämpfung begrüsst worden. 2021/2022 sei die Ernennung des Leiters der SAPO ohne Angabe von Gründen blockiert worden. Zusammenfassend kommt der Bericht zum Ergebnis, dass das ukrainische Justizsystem schon vor Ausbruch des Krieges teilweise dysfunktional gewesen sei und sich die Fortschritte in der effektiven Verfolgung von Korruption in der Ukraine trotz der Justizreformen und der neuen Institutionen zur Korruptionsbekämpfung als bescheiden erwiesen hätten.» (E.5.1).
«Soweit die Beschwerdeführerinnen das Vorliegen einer Straftat bestreiten, ist darauf nicht weiter einzugehen, da die illegale Herkunft der Vermögenswerte im Verfahren gemäss Art. 4 SRVG nicht zu prüfen ist.» (E.5.9).
«Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz davon ausgehen, dass das Scheitern der Strafverfolgung in der Ukraine zumindest auch auf die fehlende Verfügbarkeit des ukrainischen Justizsystems zurückzuführen ist. Dies genügt, um die Voraussetzung gemäss Art. 4 Abs. 2 lit. b SRVG zu bejahen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Vermögenssperre nach Art. 4 SRVG um eine vorläufige Massnahme im Hinblick auf ein nachfolgendes Konfiskationsverfahren handelt, in welchem der unrechtmässige Erwerb der Vermögenswerte detailliert abzuklären sein wird (Art. 14 Abs. 2 lit. b und Art. 15 SRVG). Die Sperrung muss oft rasch, ohne vertiefte Abklärungen, erfolgen, um einer zu erwartenden Aufhebung der rechtshilfeweise verfügten Kontosperre zuvorzukommen. Sodann ist es für die schweizerischen Behörden schwierig, die Gründe für das Scheitern eines Strafverfahrens im ausländischen Staat zu ergründen, wie der vorliegende Fall zeigt. Es muss daher genügen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass das Rechtshilfeverfahren im konkreten Fall zumindest auch aufgrund struktureller Defizite gescheitert ist. Dies ist vorliegend zu bejahen.» (E.6.4).
«Weiter rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK), weil ihnen durch den Systemwechsel (SRVG statt Rechtshilfe- und Strafverfahren) die Möglichkeit abgeschnitten worden sei, eine Verletzung des Grundsatzes „ne bis in idem“ zu rügen. Diese Rüge ist unbehelflich. Sowohl das Verfahren für die administrative Sperrung von Vermögenswerten gemäss Art. 4 SRVG als auch das anschliessende gerichtliche Einziehungsverfahren genügen allen Anforderungen von Art. 6 und 13 EMRK. Die Beschwerdeführerinnen haben die Möglichkeit, sämtliche Rügen gegen die Rechtmässigkeit der administrativen Sperrung sowie der Konfiskation geltend zu machen. Sie haben denn auch vor Bundesverwaltungsgericht eine Verletzung des Grundsatzes „ne bis in idem“ gerügt (vgl. E. 5.2.3 des angefochtenen Entscheids). Wenn sie sich nunmehr der Auffassung der Vorinstanz anschliessen, dass dieser Grundsatz im Verfahren gemäss Art. 4 SRVG nicht anwendbar ist, so ist darin keine Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts erkennbar.» (E.7.2).