Völkerstrafrecht: Erste Anklage im Kontext des Bürgerkriegs in Liberia

Nach einer 5-jährigen Strafuntersuchung überweist die Bundesanwaltschaft (BA) dem Bundesstrafgericht (BStGer) erstmals eine Anklage im Bereich des Völkerstrafrechts (VStrR). Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, während des von 1989 bis 1996 dauernden Bürgerkriegs in Liberia als Mitglied einer Rebellenmiliz das Kriegsvölkerrecht verletzt zu haben.

Gegen Ende des Jahres 1989 brach der erste Bürgerkrieg in Liberia gegen das Regime des damaligen Präsidenten, Samuel Doe, aus. Der Konflikt verschlimmerte sich zu Beginn des Jahres 1990 aufgrund von ethnischen und wirtschaftlichen Differenzen und endete 1996/1997 mit der Wahl von Charles Taylor zum Präsidenten. Im Rahmen dieser kriegerischen Auseinandersetzungen hat sich der Beschuldigte dem United Liberation Movement of Liberia for Democracy (ULIMO) angeschlossen, welches sich gegen Ende 1990 aus Anhängern des vormaligen Regimes von Samuel Doe (mehrheitlich ethnische Krahn) und geflüchteten Mandingos formierte. Diese Gruppierung führte von Sierra Leone aus Angriffe gegen die aufständische National Patriotic Front of Liberia (NPFL) des nachmaligen Präsidenten Charles Taylor. Die ULIMO hatte von allem Anfang an mit internen Aufspaltungstendenzen zu kämpfen und teilte sich in der Folge im Jahr 1994 in zwei Milizen auf, die ULIMO-J, der ethnischen Krahn, und die ULIMO-K, mehrheitlich Mandingos.

Ab Juli 2014 haben mehrere liberianische Staatsbürger Strafanzeige bei der BA gegen einen früheren Kommandanten der ULIMO bzw. ULIMO-K eingereicht. Sie warfen ihm für die Zeit zwischen 1993 und 1995 die Tötung von Zivilisten und eine Vergewaltigung sowie die Versklavung und Terrorisierung der Bevölkerung im Lofa County vor. Er soll diese Taten selber begangen oder seinen Truppen befohlen haben.

Aufgrund der Feststellung, dass sich der Beschuldigte in der Schweiz aufhielt – er lebte bereits seit mehreren Jahren in der Westschweiz – eröffnete die BA gestützt auf die vorliegende Zuständigkeit der Schweiz und der Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen im August 2014 eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts der Kriegsverbrechen (Art. 108 und 109 aMStG [altes Militärstrafgesetz] in Verbindung mit dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen von 1949 und Art. 4 des II. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen). Kurze Zeit später wurde er verhaftet und in Untersuchungshaft genommen.

Im Rahmen der fast fünfjährigen Untersuchung, die sich aufgrund der fehlenden Kooperation Liberias und der viele Jahre zurückliegenden Taten umständlich und aufwändig gestaltete, konnte die BA dennoch über 25 Zeugen befragen sowie rechtshilfeweise von Informationen von sieben Staaten oder internationalen Organisationen profitieren, so dass sie in der Lage ist, dem BStGer ihre Anklage einzureichen. Dem Beschuldigten wird namentlich vorgeworfen, zwischen März 1993 und Ende 1995, in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Rebellenmiliz:

  • Zivilisten oder Soldaten ausser Gefecht getötet bzw. sich daran beteiligt oder den Befehl dazu gegeben zu haben
  • die Leiche eines Menschen geschändet zu haben
  • eine Zivilistin vergewaltigt zu haben
  • die grausame Behandlung von Zivilisten angeordnet zu haben
  • einen Kindersoldaten rekrutiert und eingesetzt zu haben
  • mehrere Plünderungen angeordnet zu haben
  • Zwangstransporte von Waren und Munition durch Zivilisten angeordnet und/oder an diesen teilgenommen zu haben.

Die Anklageerhebung vom 22. März 2019 vor BStGer erfolgt im Rahmen des Kampfes gegen die Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen. Die dem Völkerstrafrecht immanenten Probleme und Herausforderungen gestalten die Untersuchungen besonders schwierig. Seit 2011 wurden der BA gut 60 Fälle gemeldet, wobei die Mehrheit davon eingestellt oder nicht an Hand genommen wurde. Grund dafür ist häufig das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen (z.B. das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder die Anwesenheit des Beschuldigten auf Schweizer Staatsgebiet zum Zeitpunkt der Eröffnung der Untersuchung). Momentan werden bei der BA rund ein Dutzend Verfahren wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt und zwar für Sachverhalte, die sich sowohl vor wie auch nach 2011 ereigneten.

Die BA wird ihre Anträge anlässlich der Hauptverhandlung vor dem BStGer in Bellinzona stellen. Für den Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung bis zum rechtskräftigen Urteil. Mit Einreichung der Anklage ist das BStGer für weitere Informationen zuständig.

Die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Schweiz vor 2011:
Der rechtsstaatliche Grundsatz, wonach Straftatbestände nicht rückwirkend anwendbar sind, gilt auch im Bereich des Völkerstrafrechts (Kriegsverbrechen, Völkermord und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit), dessen Normen seit 2011 im Strafgesetzbuch verankert sind. Entsprechend sind diese im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
Gestützt auf das aMStG sind Kriegsverbrechen aber seit 1968 in der Schweiz strafbar, unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers. Art. 109 aMStG stellt dabei ausdrücklich die Verletzung von Vorschriften internationaler Abkommen über Kriegführung, über den Schutz von Personen und Gütern sowie anderer anerkannter Gesetze und Gebräuche des Krieges unter Strafe.

 

 

Quelle: MM vom 26.03.2019

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