Urteil des Bundesgerichts 1B_293/2019 vom 10. September 2019 betreffend Ausstandspflicht

Im Urteil des Bundesgerichts 1B_293/2019 vom 10. September 2019 geht es um die Ausstandspflicht der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich führte ein Strafverfahren gegen A. wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Am 6. März 2019 stellte die Rechtsanwältin von A., Tanja Knodel, von der Anwaltskanzlei Müller Knodel + Partner, ein Ausstandsgesuch gegen die untersuchungsleitende Staatsanwältin. Die Staatsanwaltschaft Iübermittelte das Ausstandsgesuch an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses wies das Gesuch mit Beschluss vom 3. Mai 2019 ab.

Mit Eingabe von 11. Juni 2019 führt A. bzw. seine Rechtsanwältin Tanja Knodel die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. A. beantragt, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich sei zu verpflichten, in dieser Strafuntersuchung in den Ausstand zu treten.

Das Bundesgericht führt allgemein zum Thema Befangen Folgendes aus: „Gemäss Art. 56 lit. f StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen (als den in lit. a-e der gleichen Bestimmung genannten) Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (vgl. dazu im Einzelnen BGE 141 IV 178 E. 3.2.1 S. 179 f. und Urteil 1B_51/2019 vom 28. März 2019 E. 3.1; je mit Hinweisen). Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit der untersuchungsleitenden Person zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten der untersuchungsleitenden Person bestehen. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen“ (E.2.2).

Weiter lautet es beim Bundesgericht: „Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin ist nach der Praxis des Bundesgerichts nicht leichthin anzunehmen. Trifft die Staatsanwältin fehlerhafte Verfügungen und Verfahrenshandlungen, so begründet dies für sich allein keinen Anschein der Voreingenommenheit. Anders verhält es sich, wenn die begangenen Rechtsfehler bei objektiver Betrachtung besonders krass sind oder wiederholt auftreten, sodass sie einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (vgl. BGE 143 IV 69 E. 3.2 S. 74 f.; BGE 141 IV 178 E. 3.2.3 S. 180; Urteil 1B_535/2018 vom 16. April 2019 E. 3; je mit Hinweisen). Ansonsten sind primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen beanstandete Verfahrenshandlungen auszuschöpfen (vgl. BGE 143 IV 69 E. 3.2 S. 75; 114 Ia 153 E. 3b/bb S. 158 f.; je mit Hinweisen). Auch voreilige Äusserungen der Untersuchungsleitung können in begründeten Einzelfällen geeignet sein, objektive Zweifel an ihrer Unparteilichkeit zu begründen. Es können sich Verfahrenssituationen ergeben, in denen die Staatsanwaltschaft bereits vor Abschluss der Strafuntersuchung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht zum Gegenstand der Untersuchung Stellung nimmt und dabei ihre – aufgrund des jeweiligen Verfahrensstandes vorläufig gebildete – Meinung offen legt. Dabei darf und muss, sofern nicht besondere gegenteilige Anzeichen vorhanden sind, vorausgesetzt werden, dass die Untersuchungsleitung in der Lage ist, ihre vorläufige Beurteilung des Prozessstoffes (entsprechend dem jeweils neusten Stand des Verfahrens) ständig zu überprüfen und bei Vorliegen neuer Tatsachen und Argumente zu revidieren. Ein solches Vorgehen vermag in der Regel keine Parteilichkeit oder Befangenheit objektiv zu begründen. „Ungeschickte Äusserungen“ eines Staatsanwaltes kommen als Ausstandsgründe nur in Frage, wenn es sich dabei um eine schwere Verfehlung gegenüber der betroffenen Partei handelt (BGE 141 IV 178 E. 3.2.3 S. 180; Urteil 1B_101/2019 vom 16. Juli 2019 E. 3.3)“ (E.2.3.).

Der Beschwerdeführer A. machte geltend, dass das Verhalten der Staatsanwältin im Nachgang der Hafteinvernahme vom 4. März 2019 eine Ausstandsgrund darstelle. Hier habe sie ihm bloss die letzte Seite des Antrags auf Anordnung seiner Untersuchungshaft vorgelegt und ihn dazu aufgefordert, diese zu unterschreiben, ohne dass  er die vorangehenden Seiten gelesen habe oder habe lesen können. Als sein Rechtsanwalt Einwände dagegen erhoben habe, habe sie denselben aus dem Büro verwiesen und den Beschwerdeführer polizeilich abführen lassen. Auf der letzten Seite des Haftantrages wurde vermerkt, dass sich der Beschwerdeführer geweigert habe, den Haftantrag zu unterschreiben. Das Bundesgericht wertet das behauptete Vorgehen der Staatsanwältin als „nicht den Normen des Strafverfahrens entsprechend„. Darin sei allerdings keine Verletzung der Amtspflichten zu erblicken, die so schwer wiegt, dass sie für sich den Anschein der Befangenheit erweckt (E.3.1.).

Weiter brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Staatsanwältin im Zeitraum zwischen dem Eingang des Ausstandsgesuches und der Fällung des obergerichtlichen Entscheids keine Verfahrenshandlungen mehr vorgenommen habe. Damit habe sie gegen Art. 59 Abs. 3 StPO und das Beschleunigungsgebot in Art. 5 Abs. 2 StPO verstossen, was eine Befangenheit indiziere. Dazu äusserte sich das Bundesgericht wie folgt: „In Haftsachen kommt dem strafprozessualen Beschleunigungsgebot besondere Bedeutung zu (vgl. Art. 5 Abs. 2 StPO). Wie aus den Akten ersichtlich ist, war der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses nach wie vor inhaftiert. Auch wenn die Beschwerdegegnerin das Verfahren im Anschluss an den angefochtenen Beschluss fortgeführt hat, befand sich der Beschwerdeführer bis mindestens zum 19. Juli 2019 und befindet er sich soweit ersichtlich weiterhin in Untersuchungshaft. Vor dem Hintergrund der laufenden Haft ist die Weigerung der Beschwerdegegnerin, das Strafverfahren bis zum Beschluss der Vorinstanz fortzuführen, nicht nachvollziehbar. Sie lässt sich unter den gegebenen Umständen auch mit den möglichen Folgen einer Gutheissung des Ausstandsgesuchs gemäss Art. 60 Abs. 1 StPO nicht rechtfertigen. Die Weigerung der Beschwerdegegnerin, bis zum Beschluss der Vorinstanz während knapp zwei Monaten weitere Untersuchungsmassnahmen vorzunehmen, stellt einen nicht leicht zu nehmenden Verfahrensfehler dar. Wie die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht zum Schluss gekommen ist, ist der Fehler für sich gesehen allerdings noch nicht so gravierend, dass er als schwere Amtspflichtsverletzung zu qualifizieren ist, welche im Sinne der Rechtsprechung den Anschein von Voreingenommenheit erweckt“ (E.3.2.).

Weiter beanstandete der Beschwerdeführer einzelne Formulierungen im Haftantrag.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde in Strafsachen ab. Es bestehe kein austandsbegründender Anschein der Befangenheit der untersuchenden Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich.

 

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