Neues Berner Polizeigesetz: Beschwerde von Bundesgericht im Urteil vom 29. April 2020 (1C_181/2019) teilweise gutgeheissen

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gegen das neue Polizeigesetz des Kantons Bern im Urteil vom 29. April 2020 (1C_181/2019) teilweise gut. Es hebt die auf die Fahrenden ausgerichteten Regelungen betreffend Wegweisung und deren Vollzug auf, ebenso die Bestimmungen zur automatischen Verbindung jeglicher Wegweisung mit einer Strafdrohung und zum Einsatz von GPS-Geräten durch die Kantonspolizei. Nicht zu beanstanden sind die Regelungen zur Kostentragung bei Veranstaltungen mit Gewalttätigkeiten.

Der Grosse Rat des Kantons Bern hatte im März 2018 eine Totalrevision des kantonalen Polizeigesetzes (PolG/BE) beschlossen. Das neue PolG/BE wurde in der Volksabstimmung vom 10. Februar 2019 angenommen. Mehrere Organisationen und Privatpersonen erhoben gegen den Erwahrungsbeschluss Beschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung der Bestimmungen zur Kostentragung bei Veranstaltungen mit Gewalttätigkeiten und von Bestimmungen zur Wegweisung und Fernhaltung sowie zur Observation.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde an seiner öffentlichen Beratung vom Mittwoch teilweise gut und hebt Artikel 83 Absatz 1 litera h, Artikel 84 Absätze 1 und 4 und Artikel 118 Absatz 2 PolG/BE auf. Artikel 83 Absatz 1 litera h PolG/BE betrifft die Wegweisung oder Fernhaltung von Personen, wenn auf einem Grundstück des Gemeinwesens oder einem privaten Grundstück ohne Erlaubnis des Eigentümers oder des Besitzers campiert wird. Die Bestimmung steht in Verbindung mit Artikel 84 Absatz 4 PolG/BE, wonach entsprechende Wegweisungen schriftlich vor Ort verfügt werden; befolgen Betroffene die Wegweisung nicht innerhalb von 24 Stunden, kann die Kantonspolizei das Gelände räumen, sofern ein Transitplatz zur Verfügung steht. Aus der Entstehungsgeschichte und den Debatten im Grossen Rat ergibt sich, dass die beiden Bestimmungen ausschliesslich für die Fahrenden und zwecks Beschleunigung von deren Wegweisung erlassen wurden. Eine Prüfung anhand verschiedener Fallgruppen ergibt, dass die Bestimmungen sowohl für schweizerische und ausländische Fahrende, die länger an einem Ort verweilen, als auch für Fahrende auf der Durchreise – meist ausländische – einen unverhältnismässigen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben bedeuten. Die Regelungen sind deshalb aufzuheben.

Der ebenfalls aufzuhebende Artikel 84 Absatz 1 PolG/BE sieht vor, dass jegliche Massnahme zur Wegweisung und Fernhaltung automatisch und obligatorisch unter der Strafdrohung von Artikel 292 des Strafgesetzbuches ergeht. Dies ist in nicht schwerwiegenden Fällen weder erforderlich, um den Schutz der Öffentlichkeit zu gewährleisten, noch für die Betroffenen zumutbar. Betroffene müssten selbst in leichten Fällen zwangsläufig ein Strafverfahren durchlaufen oder wenn sie die Massnahme unverschuldet nicht respektiert haben.

Gemäss Artikel 118 Absatz 2 PolG/BE kann die Kantonspolizei zur Erkennung und Verhinderung von Verbrechen und Vergehen technische Überwachungsgeräte einsetzen, um den Standort von Personen oder Sachen festzustellen. Hauptanwendungsfall dieser Norm ist die Echtzeitüberwachung durch ein an einem Fahrzeug angebrachtes GPS-Gerät. Dabei ist von einem nicht leichten Eingriff in die Privatsphäre auszugehen. Die Regelung im PolG/BE zur präventiven polizeilichen GPS-Überwachung entspricht fast wortgleich derjenigen zur GPS-Überwachung im Rahmen einer Untersuchung der Staatsanwaltschaft gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO); sie unterliegt dabei aber deutlich weniger strengen Voraussetzungen und soll in einem Zeitpunkt möglich sein, in dem noch gar keine Straftat erfolgt ist. Ohne mindestens dieselben verfahrensrechtlichen Garantien vorzusehen, die bei einer GPS-Überwachung gemäss StPO zur Anwendung kommen, vermag die Regelung im PolG/BE den Grundrechtseingriff nicht zu rechtfertigen, weshalb sie aufzuheben ist.

Nicht zu beanstanden sind die Bestimmungen zur Kostentragung bei Veranstaltungen mit Gewalttätigkeiten (Artikel 54 bis 57 PolG/BE), die weitgehend denen im Luzerner Polizeigesetz entsprechen (BGE 143 I 147). Sowohl die Kostenregelung für Veranstalter, als auch diejenige für an Gewalttaten beteiligte Personen lassen sich verhältnismässig anwenden und sind mit der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit vereinbar. Sie bewirken keinen unzulässigen Abschreckungseffekt und wahren die abgaberechtlichen Prinzipien sowie die verfahrensrechtlichen Garantien.

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