Keine Richterwahl im Losverfahren: Bundesrat lehnt Justiz-Initiative ab

Die Justiz-Initiative verlangt, dass die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts künftig per Los bestimmt werden. Der Bundesrat lehnt ein Losverfahren für Richterwahlen ab. Es basiert auf dem Zufallsprinzip statt auf einer demokratischen Wahl und wäre damit ein Fremdkörper in der Schweizer Rechtsordnung. Der Bundesrat beantragt deshalb dem Parlament, die Justiz-Initiative zur Ablehnung zu empfehlen und hat an seiner Sitzung vom 19. August 2020 die entsprechende Botschaft verabschiedet.

Die Volksinitiative „Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)“ ist am 26. August 2019 mit 130 100 gültigen Unterschriften eingereicht worden. Sie verlangt, dass die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts künftig durch das Los bestimmt werden. Wer zum Losverfahren zugelassen wird, würde eine unabhängige Fachkommission entscheiden. Die Bundesrichterinnen und Bundesrichter wären bis fünf Jahre nach dem Erreichen des ordentlichen Rentenalters gewählt. Die Bundesversammlung könnte sie auf Antrag des Bundesrats nur abberufen, wenn sie Amtspflichten schwer verletzen oder die Fähigkeit, das Amt auszuüben, auf Dauer verloren haben.

Zufall und Losglück statt demokratische Wahl

Das Losverfahren wäre ein Fremdkörper in der schweizerischen Rechtsordnung. Richterinnen und Richter werden in der Schweiz sowohl auf kantonaler wie auf nationaler Ebene grundsätzlich vom Volk oder vom Parlament gewählt. Für die Wahl ans Bundesgericht ist die Bundesversammlung zuständig. Bei einer Annahme der Initiative würde die Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter nicht mehr demokratisch entschieden, sondern dem Zufall überlassen. Es würde nicht die bestgeeignete Person Richterin oder Richter, sondern wer bei der Losziehung Glück hat. Zudem würde die demokratische Legitimation des Bundesgerichts geschwächt.

Das aktuelle Wahlsystem hat sich bewährt

Das aktuelle System der Nominierung und Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter durch die demokratisch legitimierte Bundesversammlung hat sich grundsätzlich bewährt. Es ermöglicht, zusätzlich zu den fachlichen auch sprachliche und regionale Kriterien zu berücksichtigen. Ausserdem nimmt die Bundesversammlung traditionsgemäss Rücksicht auf die Proporzansprüche der grossen politischen Parteien. Damit gewährleistet das heutige Wahlsystem, dass das Bundesgericht aus gesellschaftspolitischer Sicht ausgewogen zusammengesetzt ist. Das erhöht auch die Akzeptanz seiner Urteile in der Bevölkerung.

Aus all diesen Gründen beantragt der Bundesrat dem Parlament, die Justiz-Initiative ohne Gegenentwurf und Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

Ausführungen in der Botschaft

Hier sind die wesentlichen Ausführungen des Bundesrates aus der Botschaft:

Die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» möchte die Unabhängigkeit der Bundesrichterinnen und Bundesrichter von den politischen Parteien fördern, insbesondere in Bezug auf ihre Nominierung, Wahl und Wiederwahl. Die fachliche und persönliche Qualifikation der Richterinnen und Richter soll im Vordergrund stehen, und nicht deren Mitgliedschaft in einer Partei. Die Initiative schlägt daher für die Bundesrichterinnen und Bundesrichter eine Bestimmung mittels Losverfahren vor sowie eine grundsätzlich unbefristete Amtsdauer.

Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, da das Losverfahren dem Schweizer System fremd ist. Auf Bundes- und Kantonsebene wählt das Parlament oder das Volk die Richterinnen und Richter. Die Einführung eines Losverfahrens würde die demokratische Legitimation des Bundesgerichts schwächen.

Inhalt der Initiative

Die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» wurde am 26. August 2019 mit 130 100 gültigen Unterschriften eingereicht.

Die Initiative verlangt, dass der Bund die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts mittels Losentscheid bestimmt. Wer zum Losverfahren zugelassen wird, soll eine unabhängige Fachkommission entscheiden. Der Bundesrat würde die Mitglieder dieser Kommission für eine einmalige Amtsdauer von zwölf Jahren wählen. Die Fachkommission soll nur Personen zum Losentscheid zulassen, die fachlich und persönlich für das Amt geeignet sind. Das Verfahren wäre so auszugestalten, dass die Amtssprachen am Bundesgericht angemessen vertreten sind. Die Amtsdauer der Bundesrichterinnen und Bundesrichter würde fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters enden, d.h. mit 69 für Frauen bzw. 70 Jahren für Männer. Die Möglichkeit der Wiederwahl fiele weg. Dafür sieht die Initiative in Artikel 145 Absatz 2 BV vor, dass eine Richterin oder einen Richter auf Antrag des Bundesrates abberufen werden kann, wenn die Person ihre Amtspflicht verletzt hat oder amtsunfähig wurde.

Vorzüge und Mängel der Initiative

Der Bundesrat hat grundsätzlich Verständnis für einige der Ziele und Anliegen der Initiantinnen und Initianten. Auch dem Bundesrat ist die Unabhängigkeit des Bundesgerichts und der einzelnen Richterinnen und Richter ein wichtiges Anliegen. Der Bundesrat anerkennt zudem ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen einer unabhängigen Amtsführung und dem zurzeit praktizierten System, wonach Richterinnen und Richter faktisch Mitglied einer politischen Partei sein und Mandatssteuern bezahlen müssen. Weiter hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass für Richterinnen und Richter einzelne ihrer Urteile Konsequenzen im Wiederwahlverfahren haben könnten. Problematisch ist dabei der Druck, den Parteien und Parlamentsmitglieder auf die richterliche Unabhängigkeit ausüben können, wenn sie Richterin- 3 nen und Richtern mit der Nichtwiederwahl drohen. Eine einmalige Amtsdauer wäre deshalb grundsätzlich geeignet, die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern zu stärken. Das Losverfahren könnte zudem die Chancen von Parteilosen erhöhen, Bundesrichterin oder Bundesrichter zu werden.

Trotzdem ist der Bundesrat der Ansicht, dass die vorgeschlagenen Massnahmen der Initiative, insbesondere das Losverfahren, nicht geeignet sind, die Probleme zu beheben, welche die Initiantinnen und Initianten bemängeln; sie schaffen stattdessen neue. Das Losverfahren bestimmt nicht die besten Kandidatinnen und Kandidaten aus der Auswahl der Fachkommission zu Richterinnen oder Richtern, sondern die vom Los begünstigten. Es schwächt die Stellung des Parlaments und der politischen Parteien sowie die demokratische Legitimation der Justiz und damit allenfalls auch die Akzeptanz des Bundesgerichts und seiner Urteile in der Bevölkerung. Das Losverfahren widerspricht schliesslich der Tradition, nach der in Bund und Kantonen das Volk oder das Parlament die Richterinnen und Richter wählt und damit demokratisch legitimiert. Ungewöhnlich ist zudem, dass die Vereinigte Bundesversammlung die Bundesrichterinnen und Bundesrichter zwar nicht mehr wählen, jedoch in einem neuartigen Verfahren abberufen kann.

Zu einigen zentralen Punkten äussert sich der Initiativtext nicht: So finden sich keine Angaben zur Grösse und Zusammensetzung der Fachkommission, zur Ausgestaltung des Losverfahrens und zum Begriff der persönlichen Eignung, welche der Initiativtext nebst der fachlichen Eignung von den Kandidierenden für die Zulassung zum Losverfahren verlangt. Je nach gesetzgeberischer Umsetzung würde zudem die Vereinigte Bundesversammlung weiterhin die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesstrafgerichts und des Bundespatentgerichts wählen. Völlig offen ist auch, ob und wie sich eine ausgewogene Zusammensetzung des Gerichts gewährleisten lässt, namentlich hinsichtlich Geschlecht, regionaler Herkunft sowie politischer Grundhaltung.

Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

 

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