Coronavirus und Arbeitsrecht – jetzt wird es arbeitsrechtlich wohl Ernst in der Schweiz

Seit diesem Wochenende steht der Coronavirus an der Schweizer Grenze, nämlich in Norditalien. Und er breitetet sich stark aus in Südkorea, in Singapur und in Japan. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beobachtet die Situation, scheint aber (noch) nicht zu handeln. Der Coronavirus hat von der WHO nun einen offiziellen Namen erhalten: COVID-19, kurz für «coronavirus disease 2019» oder auf Deutsch Coronavirus-Krankheit 2019. Arbeitsrechtlich wird es jetzt in der Schweiz nun wohl ernst. Und zwar zuerst im Süden der Schweiz.

Viele Arbeitnehmende aus Norditalien fahren als Grenzgänger ins Tessin zur Arbeit. Morgen Montag ist es wieder soweit. Sie werden dann bei Schweizer Unternehmen nach Schweizer Arbeitsrecht als Arbeitnehmende tätig sein. Das Tessin, insbesondere seine stark von Grenzgängern abhängige Industrie, wird also mit grosser Wahrscheinlichkeit zum arbeitsrechtlichen Coronavirus-Testfall in der Schweiz. Schauen wir uns nun, vor allem am Beispiel Tessin, einzelne Punkte an.

Arbeitnehmerpersönlichkeitsschutz nach Art. 328 OR sowie Regelungen in Spezialgesetzen

Der Arbeitgeber ist gemäss Art. 328 OR verpflichtet, die Persönlichkeit und Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen. Gemäss Art. 328 Abs. 2 OR trifft den Arbeitgeber besondere Schutzpflichten für Leben und Gesundheit der Arbeitnehmenden. Dazu kommen noch weitere gesetzliche Bestimmungen, u.a. aus dem UVG und dem ArG.

Diese Schutzpflichten bestehen insoweit, als sie «nach der Erfahrung notwendig» sind. Gemeint ist nicht nur die Erfahrung des Betriebs selber, sondern diejenige der gesamten Branche. Bei Pandemien wie dem Coronavirus (COVID-19) gibt es keine einschlägigen Erfahrungen in der Schweiz. Hier muss auf die Empfehlungen der WHO und vor allem die Erfahrungen mit dem COVID-19-Virus aus dem Ausland abgestellt werden. Zudem existieren Pandemiepläne in der Schweiz, welche aber noch nicht aktiviert wurden.

Gesichert dürfte nun sein, dass sich der Coronavirus auch ausserhalb Chinas in Infektionsherden verbreitet hat und offenbar recht ansteckend ist. Das zeigen auch die Beispiele Norditalien und Südkorea.

Mögliche Massnahmen von Arbeitgebern im Tessin

Im Tessin stellen sich wegen der Grenzgänger aus Norditalien nun sehr dringende Fragen des Handelns von Arbeitgebern, auch bezüglich rechtlicher Notwendigkeit bzw. rechtlicher Verhältnismässigkeit.

Als erste und einfach zu implementierende Massnahmen kommen Fragebogen an Arbeitnehmende vor dem Betreten des Betriebs sowie Temperaturmessungen vor dem Betriebsgelände in Frage. Auch kann der Arbeitgeber aufgrund der besonderen Situation das Absenzenregime des Unternehmens temporär lockern und z.B. das Fernbleiben des Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz ohne Arztzeugnis für eine gewissen Zeit erlauben. Arbeitnehmende aus besonders stark betroffenen Regionen können durch den Arbeitgeber angewiesen werden, zu Hause zu bleiben und Ferien zu beziehen.

Denkbar ist auch, dass einzelne Arbeitnehmende aus Norditalien wegen Quarantänemassnahmen gar nicht am Arbeitsplatz erscheinen können. Hier stellen sich u.a. Fragen der Lohnfortzahlungspflicht nach Art. 324a OR.

Geschäftsreisen in Risikogebiete und Besuch von globalen Messen und Kongressen

Aufgrund der neuen Infektionsherde in Südkorea, Singapur, Japan und Norditalien müssen auch Geschäftsreisen ständig neu arbeitsrechtlich beurteilt werden. Klar dürfte derzeit sein, dass aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes der Arbeitgeber keine Geschäftsreisen nach China (Mainland) gegen den Willen des Arbeitnehmenden anordnen darf.

Eine gezielte Beurteilung erfordern nun auch die Besuche von globalen Messen und Kongressen. Dazu gehören primär solche in den Hauptverbreitungsgebieten vom Coronavirus. Aber auch globale Messen, welche an anderen Orten stattfinden, müssen aus der Sicht des Arbeitnehmerschutzes neu beurteilt werden. Einzelne Messen und Kongresse wurden abgesagt, andere scheinen stattzufinden. So findet nach dem Stand der Dinge die Geneva International Motor Show Anfang März statt, mit vielen Ausstellern aus China und aus Norditalien.

In den kommenden Tagen und Wochen werden also Arbeitgeber und Arbeitnehmende in der Schweiz nicht darum herumkommen, konkrete arbeitsrechtliche Entscheide betreffend COVID-19 zu treffen. Sicher wird ein Leitstern dabei sein, unnötige Geschäftsreisen zu vermeiden bzw. durch Videokonferenzen und andere moderne technische Möglichkeiten zu substituieren. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass im Einzelfall auch härtere Entscheid zu fällen sein werden.

Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., www.jobanwalt.ch

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