In der COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) wurde der arbeitsrechtliche Art. 10c, deutlich gegenüber der Vorfassung umgestaltet:
«Art. 10c Pflichten des Arbeitgebers betreffend Schutz der Gesundheit von besonders gefährdeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
1 Der Arbeitgeber ermöglicht seinen besonders gefährdeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, ihre Arbeitsverpflichtungen von zu Hause aus zu erfüllen. Er trifft zu diesem Zweck die geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen.
2 Ist es nicht möglich, die angestammte Arbeitsverpflichtung von zu Hause aus zu erfüllen, so weist der Arbeitgeber der betroffenen Arbeitnehmerin oder dem betroffenen Arbeitnehmer in Abweichung vom Arbeitsvertrag bei gleicher Entlöhnung eine gleichwertige Ersatzarbeit zu, die von zu Hause aus erledigt werden kann. Er trifft zu diesem Zweck die geeigneten organisatorischen und technischen Massnahmen.
3 Ist aus betrieblichen Gründen die Präsenz besonders gefährdeter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ort ganz oder teilweise unabdingbar, so dürfen diese in ihrer angestammten Tätigkeit vor Ort beschäftigt werden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
a. Der Arbeitsplatz ist so ausgestaltet, dass jeder enge Kontakt mit anderen Personen ausgeschlossen ist, namentlich indem ein Einzelraum oder ein klar abgegrenzter Arbeitsbereich unter Berücksichtigung des Mindestabstandes von 2 Metern zur Verfügung gestellt wird.
b. In Fällen, in denen ein enger Kontakt nicht jederzeit vermieden werden kann, werden angemessene Schutzmassnahmen nach dem STOP-Prinzip ergriffen (Substitution, technische Massnahmen, organisatorische Massnahmen, persönliche Schutzausrüstung).
4 Ist es nicht möglich, die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach den Absätzen 1–3 zu beschäftigen, so weist ihnen der Arbeitgeber in Abweichung vom Arbeitsvertrag bei gleicher Entlöhnung eine gleichwertige Ersatzarbeit vor Ort zu, bei der die Vorgaben nach Absatz 3 Buchstaben a und b erfüllt sind.
5 Bevor der Arbeitgeber die vorgesehenen Massnahmen trifft, hört er die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an.
6 Die betroffene Arbeitnehmerin oder der betroffene Arbeitnehmer kann die Übernahme einer ihr oder ihm zugewiesenen Arbeit ablehnen, wenn der Arbeitgeber die Voraussetzungen nach den Absätzen 1–4 nicht erfüllt oder wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus trotz der vom Arbeitgeber getroffenen Massnahmen nach den Absätzen 3 und 4 aus besonderen Gründen als zu hoch für sich erachtet. Der Arbeitgeber kann ein ärztliches Attest verlangen.
7 Ist es nicht möglich, die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach den Absätzen 1–4 zu beschäftigen, oder lehnen diese die zugewiesene Arbeit im Sinne von Absatz 6 ab, so stellt der Arbeitgeber sie unter Lohnfortzahlung frei.
8 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen ihre besondere Gefährdung durch eine persönliche Erklärung geltend. Der Arbeitgeber kann ein ärztliches Attest verlangen.»
Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass der Text von Art. 10c deutlich länger geworden ist. Abs. 1 ist unverändert, besonders gefährdete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen von zu Hause aus arbeiten, d.h. vom Homeoffice aus.
Neu ist Abs. 2, wonach wenn die angestammte Arbeitsverpflichtung nicht vom Homeoffice erledigt werden kann, der Arbeitgeber den betroffenen Personen in Abweichung vom Arbeitsvertrag eine gleichwertige Ersatzarbeit zuweist, welche von zu Haus aus erledigt werden kann.
Gemäss Abs. 3 können besonders gefährdete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn es nicht anders möglich ist, vor Ort beschäftigt werden. Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitsplatz so gestaltet ist, dass ein enger Kontakt mit anderen Personen ausgeschlossen ist oder ein klarer Arbeitsbereich mit einem Mindestabstand von 2 m zur Verfügung gestellt wird. Wo enger Kontakt nicht vermieden werden kann, müssten angemessene Schutzmassnahmen nach dem STOP-Prinzip ergriffen werden.
Gemäss Abs. 4 muss bei der Unmöglichkeit der Einhaltung von Schutzmassnahmen den Personen eine andere Arbeit zugewiesen werden.
Neu ist, dass gemäss Abs. 5 der Arbeitgeber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Anhörungsrecht gewähren muss.
In Abs. 6 wird neu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Ablehnungsrecht der zugewiesenen Arbeit gewährt. Dies gilt auch, wenn die betreffende Person die Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus trotzt der Massnahmen des Arbeitgebers aus besonderen Gründen für zu hoch für sich erachtet. Hier scheint auch ein subjektives Element vom Bundesrat geschaffen worden zu sein. Der Arbeitgeber kann, wie bisher, ein ärztliches Attest verlangen. Weil das Seco ja in solchen Fällen unter Umständen einen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung jedenfalls in den Informationen auf seiner Website bejaht, wird die praktische Bedeutung dieses Abs. 6 aber allenfalls in der Praxis begrenzt sein.
Sehr interessant ist die Änderung in Abs. 7. Bisher sollten, falls keine Beschäftigung möglich ist, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beurlaubt werden. Das bedeutet Lohnfortzahlung gegen Ferienbezug. Neu soll es sich um eine Freistellung handeln, d.h. der Arbeitgeber schuldet den Lohn ohne Arbeitspflicht des Arbeitnehmers, was eine deutliche Schlechterstellung des Arbeitgebers ist und massive Kosten verursachen kann.
Die besondere Gefährdung können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin durch persönliche Erklärung geltend machen (Abs. 8).
Alles in allem ist diese Bestimmung einerseits deutlich komplizierter und andererseits deutlich arbeitnehmerfreundlicher geworden. Insbesondere gibt es nun eine obligatorische Freistellung, falls keine Beschäftigung möglich ist durch den Arbeitgeber.
Gemäss Art. 10b Abs. 2 COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) gelten folgende Personen als besonders gefährdet: «Als besonders gefährdete Personen gelten Personen ab 65 Jahren und Personen, die insbesondere folgende Erkrankungen aufweisen: Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Erkrankungen und Therapien, die das Immunsystem schwächen, Krebs.»
Gemäss Art. 10b Abs. 3 der COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) werden diese Kategorien präzisiert: «Die Kategorien nach Absatz 2 werden in Anhang 6 anhand medizinischer Kriterien präzisiert. Diese Liste ist nicht abschliessend. Eine klinische Beurteilung der Gefährdung im Einzelfall bleibt vorbehalten.»
Gemäss Art. 10b Abs. 4 der COVID-19 Verordnung 2 vom 13. März 2020 (Stand 17. April 2020) führt das BAG Anhang 6 laufend nach.
Anhang 6 lautet wie folgt (Fassung vom 17. April 2020):
1. Bluthochdruck
– Arterielle Hypertonie mit Endorganschaden
– Therapie-resistente arterielle Hypertonie
2. Herz-Kreislauf-Erkrankungen
2.1 Generelle Kriterien
– Funktionelle Klasse NYHA II und NT-Pro BNP > 125 pg/ml
– Patient/innen mit 2 kardiovaskulären Risikofaktoren (einer davon Diabetes oder arterielle Hypertonie)
– Vorgängiger Schlaganfall und/oder symptomatische Vaskulopathie
– Chronische Niereninsuffizienz (Stadiume 3, GFR <60ml/min)
2.2 Andere Kriterien
2.2.1 Koronare Herzkrankheit
– ACS (STEMI und NSTEMI) in den letzten 12 Monaten
– Symptomatisches chronisches Koronarsyndrom trotz medizinischer Therapie (unabhängig von allfälliger vorheriger Revaskularisierung)
2.2.2 Erkrankung der Herzklappen
– Native Klappenstenose und/oder Regurgitation zusätzlich zu mindestens einem generellen Kriterium – Mittelschwere oder Schwere Stenose und/oder Regurgitation
– Jeglicher chirurgischer oder perkutanter Klappenersatz
2.2.3 Herzinsuffizienz
– Patient/in mit funktioneller Klasse NYHA II oder NT-Pro BNP > 125pg/ml trotz medizinischer Therapie jeglicher LVEF (HFpEF, HFmrEF, HFrEF)
– Kardiomyopathy jeglicher Ursache – Pulmonalarterielle Hypertonie
2.2.4 Arrhythmie
– Jegliche Arrhythmie (Bradycardie / Tachycardie) zusätzlich zu einem generellen Kriterium – Vorhofflimmern
– Vorgängige Schrittmachereinlage (inkl. ICD und/oder CRT Implantation) zusätzlich zu einem generellen Kriterium
– Vorgängige Ablation zusätzlich zu einem generellen Kriterium
2.2.5 Erwachsene mit kongenitaler Herzerkrankung
– Jegliche kongenitale Herzerkrankung
3. Chronische Atemwegserkrankungen
– Chronisch Obstruktive Lungenerkrankungen GOLD Stadium II-IV
– Lungenemphysem
– Unkontrolliertes, insbesondere schweres Asthma bronchiale
– Interstitielle Lungenerkrankungen
– Aktiver Lungenkrebs
– Pulmonalarterielle Hypertonie
– Pulmonalvaskuläre Erkrankung
– Aktive Sarkoidose
– Zystische Fibrose
– Chronische Lungeninfektionen (atypische Mykobakteriosen, Bronchiektasen etc.)
– Beatmete Patient/innen
– Schlafapnoe bei Vorhandensein weiterer Risikofaktoren (z.B. Adipositas)
4. Diabetes
– Diabetes mellitus, mit Spätkomplikationen oder einem HbA1c von > 8%
5. Erkrankungen/Therapien, die das Immunsystem schwächen
– Schwere Immunsuppression (z.B. CD4+< 200µl)
– Neutropenie ≥ 1 Woche – Lymphozytopenie <0.2×109/L
– Hereditäre Immundefekte
– Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr unterdrücken (wie z. B. Langzeit-Einnahme von Glukokortikoide, monoklonale Antikörper, Zytostatika, etc.)
– Aggressive Lymphome (alle Entitäten)
– Akute Lymphatische Leukämie
– Akute Myeloische Leukämie
– Akute Promyelozytenleukämie
– T-Prolymphozytenleukämie
– Primäre Lymphome des zentralen Nervensystems
– Stammzelltransplantation
– Amyloidose (Leichtketten (AL)- Amyloidose)
– Aplastische Anämie unter immunsuppressiver Therapie
– Chronische Lymphatische Leukämie
– Asplenie / Splenektomie
– Multiples Myelom
– Sichelzellkrankheit
6. Krebs
– Krebs unter medizinischer Behandlung
Autor: Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., LL.M., www.jobanwalt.ch