Damit die Schweiz ihre Klimaziele erreichen kann, will der Bundesrat den Anteil fossiler Energieträger senken und auch den Erdgasverbrauch deutlich reduzieren. Die verbleibende Nachfrage soll soweit möglich mit erneuerbarem Gas gedeckt werden. Als Energieträger zur Wärmeversorgung von Gebäuden wird die Bedeutung von Gas zwar abnehmen, für die Industrie bleibt Gas kurz- bis mittelfristig aber wichtig. Deren Grosskunden sind darum auf einen diskriminierungsfreien Zugang zum Gasnetz angewiesen. Das vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickte Gasversorgungsgesetz schafft die Grundlagen für eine geordnete Marktöffnung.
Wichtigste Eckpunkte der Vorlage
Teilmarktöffnung: Der Gasmarkt wird für Kunden mit einem jährlichen Verbrauch von mindestens 100 Megawattstunden geöffnet (gleiche Grenze wie im Stromversorgungsgesetz). Diese Kunden können ihren Gaslieferanten also frei wählen. Das betrifft rund 10% aller Gaskunden in der Schweiz bzw. rund 40’000 Verbrauchsstätten, die zusammen rund 70% des abgesetzten Gases verbrauchen. Damit erhalten mehr Kunden freien Marktzugang als mit der heutigen Verbändevereinbarung. Für die kleineren Kunden wird es eine regulierte Versorgung durch den lokalen Netzbetreiber geben. Der Bundesrat schlägt eine Teilmarktöffnung vor, da sich die Wärmeversorgung in den nächsten Jahren weg von den fossilen Energieträgern entwickeln wird. Als Folge davon, dürften auch Teile von Gasnetzen stillgelegt werden. Ein solcher Umbau ist nur mit langjähriger Planung möglich. Die Teilmarktöffnung lässt den Gemeinden, die meist Besitzerinnen der Gasversorgungsunternehmen sind, den nötigen Spielraum, um diesen Umbau zu planen.
Entflechtung: Vertikal integrierte Gasversorgungsunternehmen müssen eine buchhalterische Trennung zwischen dem Monopolbereich (insbesondere Netzbetrieb) und den wettbewerblichen Aktivitäten vornehmen. Es gibt nur noch eine einzige Bilanzzone Schweiz. Ein neu zu schaffender unabhängiger Marktgebietsverantwortlicher vergibt die Transportkapazitäten und führt die Bilanzzone. An den Eigentumsverhältnissen am Netz ändert sich nichts.
Netzzugang und Kapazitätsvergabe: Für die Buchung der Kapazitäten und den Gastransport wird ein sogenanntes Entry-Exit-System (EES) geschaffen. Solche Systeme sind Standard in der EU. Das EES erleichtert den Gashandel, indem nur je ein Vertrag am Einspeise (Entry)- oder Ausspeise (Exit)-Punkt erforderlich ist, um Gas durch das gesamte Marktgebiet zu befördern.
Integration der Transitflüsse in das Schweizer Entry-Exit-System: 70 bis 80% des in der Schweiz verbrauchten Gases gelangt vom Ausland über Transitgasleitungen in die Schweiz. Heute werden die Transitkapazitäten weitgehend unabhängig von den Gaslieferungen in die Schweiz vermarktet. Mit dem GasVG sollen sämtliche Gastransporte über das Schweizer Entry-Exit-System laufen und die Transitgasleitung dem schweizerischen Rechts- und Regulierungsrahmens unterstellt werden.
Regulator: Beim Strom amtet die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) bereits als Aufsichtsbehörde. Wie in anderen europäischen Ländern wird sie künftig auch für die Gasversorgung zuständig sein und daher neu Energiekommission (EnCom) heissen. Sie beaufsichtigt die Netznutzungstarife, die Messtarife und die Behandlung von Streitfällen beim Netzzugang. Sie arbeitet zudem mit den entsprechenden Behörden der Nachbarländer zusammen.
Messwesen: Der Bundesrat stellt in der Vernehmlassungsvorlage zwei Varianten zur Diskussion: Eine vollständige Öffnung des Messwesens und eine Variante, bei welcher der Netzbetreiber für das Messwesen zuständig ist.
Die Schaffung eines Gasversorgungsgesetzes ist nötig, weil es in der Schweiz für den Gasbereich bisher keine spezialgesetzliche Marktordnung gibt. Die einzige Regelung findet sich im Rohrleitungsgesetz von 1963 (Artikel 13, Absatz 1). Sie verpflichtet die Netzbetreiber, Transporte für Dritte zu übernehmen, wenn es technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist und wenn der Dritte eine angemessene Gegenleistung anbietet. Um den Netzzugang konkreter zu regeln, haben die Gasbranche und zwei Verbände von grösseren Industriekunden 2012 eine privatrechtliche Verbändevereinbarung abgeschlossen. Sie gewährt den Netzzugang allerdings nur grossen Endkunden, die Transportkapazitäten von mindestens 150 Normkubikmeter pro Stunde (Nm3/h) buchen (entspricht einem Jahresverbrauch von 2-5 GWh), das Erdgas primär als Prozessgas verwenden und über eine Lastgangmessung mit Datenfernübertragung verfügen.
Schon 2014 hatte die Wettbewerbskommission (WEKO) Zweifel an der Vereinbarkeit der in der Verbändevereinbarung definierten Marktzugangsbedingungen mit dem Kartellrecht geäussert. 2017 startete die WEKO zwei Vorabklärungen über missbräuchliches Verhalten der Netzbetreiber. Ende Januar 2019 gab die WEKO bekannt, dass sie in einem der beiden Fälle eine Untersuchung eröffnet.