Bundesgericht bestätigt Verurteilung von Imam der An’Nur-Moschee in Winterthur (Urteil 6B_288/2019 vom 8. Juli 2019 )

Das Bundesgericht weist im Urteil 6B_288/2019 vom 8. Juli 2019 die Beschwerde eines Imams ab, der für Äusserungen in seiner Freitagspredigt von 2016 in der An’Nur-Moschee in Winterthur wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit verurteilt wurde. Der Mann hatte am 21. Oktober 2016 im Rahmen einer öffentlich zugänglichen Freitags predigt in der An’Nur-Moschee in Winterthur vor rund 60 Personen gemäss dem Urteil zu Gewaltdelikten aufgefordert. Das Bezirksgericht Winterthur sprach ihn 2017 unter anderem der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit schuldig und verhängte eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Zudem ordnete es eine Landesverweisung von zehn Jahren an. Das Obergericht des Kantons Zürich wies die Berufung des Verurteilten ab.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Mannes, der von RA Urs Vögeli vertreten wurde, ab. Die von einer Dolmetscherin angefertigte Übersetzung seiner Freitagspredigt ist entgegen der Ansicht des Betroffenen verwertbar. Weder wurden bei der Übersetzung formelle Anforderungen missachtet, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Übersetzerin befangen gewesen wäre. Das Obergericht verletzt weiter kein Bundesrecht, wenn es zum Schluss kommt, dass die umstrittenen Passagen in der Predigt den Tatbestand der Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit erfüllen. Erforderlich ist dabei gemäss Rechtsprechung eine gewisse Eindringlichkeit der Aufforderung. In diesem Sinne kann als Handlungsaufforderung zu einem genügend bestimmten Tun zunächst der Aufruf verstanden werden, dass „getötet werden müsste, wer nicht in der Gemeinschaft betet“. Das Gleiche gilt für den Appell, „Menschen in ihren Häusern zu verbrennen, weil sie sich im Gebet von der Gemeinschaft ferngehalten haben“. Einen gewissen Interpretationsspielraum lässt zwar die Äusserung offen, „wer ein Laster gesehen hat, sollte es mit seinen Händen ändern“.

Angesichts des Gesamtkontextes ist es gemäss dem Bundesgericht allerdings naheliegend, dass die Empfänger die Äusserung im Sinne eines Handels gemäss dem Tatbestand verstehen können. Fehl geht der Einwand des Verurteilten, dass nur eigene Kommentare zu den fraglichen Zitaten als Aufforderung zur Gewalttätigkeit gelten könnten. Das Gegenteil ist der Fall: Indem der Betroffene als Imam die Worte Gottes, Mohammeds oder hoher Gelehrter als Äusserungen der grösstmöglichen religiösen Autoritäten unkommentiert liess, brachte er zum Ausdruck, dass sie deren ureigenem Willen entsprechen würden. Unzutreffend ist weiter gemäss dem Urteil, dass die fraglichen Aussagen aus dem Zusammenhang der gesamten Predigt gerissen worden seien. Keine Rolle spielt im Weiteren, welchen prozentualen Umfang die zu Gewalt auffordernden Passagen innerhalb der ganzen Predigt ausgemacht haben.

Hier sind die Äusserungen des Bundesgerichts (E.2.2.1.):  „Die Vorinstanz bejaht zunächst die erforderliche Eindringlichkeit zu Recht. Wie sie nachvollziehbar erwägt, liegt der Zweck von Predigten darin, die Zuhörerschaft im Sinne der dargelegten Glaubenslehren zu beeinflussen und ist dieser Einfluss gerade gegenüber dem in einer Moschee zu erwartenden religiösen Publikum besonders gross. Dies gilt umso mehr, wenn der Prediger, wie vorliegend, zum Ausdruck bringt, dass die Äusserungen nicht seiner eigenen Meinung entsprechen, sondern, dass hochrangige islamische Schriftgelehrte oder gar der Prophet Mohamed und, soweit es um Zitate des Koran geht, Gott selbst,eine bestimmte Verhaltensweise befürwortet oder ausdrücklich gewünscht haben. Der Hinweis eines Imam auf die Urheber seiner Äusserungen im Rahmen einer Predigt gibt diesen somit besonderes Gewicht. Hingegen ist unerfindlich, weshalb erst die Weglassung dieses Hinweises die Ausführungen als Aufforderung qualifizieren sollte, wie der Beschwerdeführer meint.   Entgegen seiner Darstellung verblieb den gläubigen Empfängern seiner Ausführungen angesichts deren Urheberschaft, namentlich Gottes oder des Propheten Mohamed, auch kein relevanter Interpretations- oder Ermessensspielraum, zumal der Beschwerdeführer seine Äusserungen nicht kommentierte oder interpretierte. Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, wonach nur eigene Kommentare der Zitate als Aufforderung zu Gewalttätigkeiten gelten könnten, geht fehl. Im Gegenteil: Indem er als Imam die Worte Gottes, des Propheten Mohamed oder hoher Gelehrter, mithin der grösstmöglichen religiösen Autoritäten, unkommentiert liess, brachte er zum Ausdruck, dass sie deren ureigenem Willen entsprechen würden und im Übrigen offensichtlich auch, dass er diese Auffassung teilte, wobei es auf letzteres für die Tatbestandserfüllung ohnehin nicht ankommt. Dass der Beschwerdeführer die zitierten Äusserungen guthiess, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass eines der von ihm wiedergegebenen Zitate mit den Worten „ihr solltet wissen“ beginnt. Der anschliessende Aufruf, wonach getötet werden müsste, wer nicht in der Gemeinschaft betet, richtet sich seinem Wortlaut nach zudem gerade nicht an die (ohnehin abwesenden) Gläubigen, die nicht in der Gemeinschaft beten, sondern an diejenigen die dies tun. Er ist daher entgegen der Meinung des Beschwerdeführers sowie gegebenenfalls des Gutachters nicht bloss als Ermahnung an säumige Gläubige zu deuten. Jedenfalls kann er unter den gegebenen Umständen von einem gläubigen Muslim als Handlungsaufforderung zu einem genügend bestimmten Tun verstanden werden. Gleiches gilt für den Appell, Menschen in ihren Häusern zu verbrennen, weil sie sich [im Gebet] von der Gemeinschaft ferngehalten haben. Im Übrigen zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist nicht ersichtlich, wie, wenn nicht als direktes Zitat von Gottes Wort oder des Propheten Mohamed eine eindringliche Handlungsaufforderung für einen gläubigen Muslim seiner Meinung nach konkret aussehen sollte. Dies gilt auch, soweit es um Handlungsweisen geht, die hohe Schriftgelehrte verlangt oder befürwortet haben sollen. Wie die Vorinstanz zutreffend erwägt, ist ebenfalls irrelevant, in welcher sprachlichen Form oder graphischen Darstellung die Ausführungen erfolgten. Wären Wortmeldungen im Konjunktiv per se nicht strafbar, wie der Beschwerdeführer argumentiert, liesse sich der Tatbestand ohne Weiteres umgehen. Er behauptet denn auch nicht, die Worte seien nicht ernst gemeint gewesen, was bei einer Predigt ohnehin nicht überzeugend wäre. Unerfindlich ist auch, aus welchen (guten) Gründen die erwähnten Äusserungen ebenso gut neutral interpretiert werden könnten. Der Beschwerdeführer nennt weder solche Gründe noch bietet er eine neutrale Interpretation an. Seiner wiederholt geäusserten Auffassung zum Trotz würde das vorstehend Gesagte schliesslich ebenso für vergleichbare, unkommentierte Zitate aus dem alten Testament gelten.

Weiter äussert sich das Bundesgericht in E.2.2.2. wie folgt: „Soweit der Beschwerdeführer behauptet, die inkriminierten Passagen seien aus dem Gesamtzusammenhang gerissen worden, trifft dies offensichtlich nicht zu. Wie er selber ausführt, handelt die Predigt von der Wichtigkeit des gemeinsamen Gebets als einer der tragenden Säulen des Islams. Die Anweisung, wie mit Gläubigen zu verfahren sei, welche sich daran nicht hielten, die mithin nicht in der Gemeinschaft beteten, ist damit klarerweise Teil dieser Ausführungen. Der Beschwerdeführer betrachtet die Predigt denn auch selber als Einheit und weist auf deren „logischen Aufbau“ hin. Dies betont ebenso der Gutachter, der die Predigt als logisches Gebilde ohne innere Widersprüche bezeichnet. Zuzustimmen ist der Vorinstanz ferner darin, dass es auf den prozentualen Umfang der zu Gewalt auffordernden Passagen innerhalb der gesamten Predigt nicht ankommt. Es entlastet den Beschwerdeführer daher nicht, dass er die Gläubigen auch auf die Wohltaten des gemeinsamen Gebets hinweist und behauptet, die Predigt mit wohlwollenden Worten zu schliessen. Inwiefern darin eine Relativierung der Aufforderung zu Gewalt oder gar eine Auseinandersetzung mit der zitierten Lehrmeinung bzw. dem vermeintlichen Willen des Propheten oder Gottes bei Unterlassen des gemeinsamen Gebets liegen soll, wie der Beschwerdeführer ausführt, ist unerfindlich. Es kann auch nicht gesagt werden, die inkriminierten Predigtpassagen seien mit zurückhaltender Sachlichkeit formuliert worden oder würden im Gesamten der Ausführungen nicht ins Gewicht fallen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers liesse sich im Übrigen ohne Weiteres auf die Wichtigkeit des gemeinsamen Gebets hinweisen, ohne zu betonen, dass diejenigen, die dies nicht täten, verbrannt werden müssten.  Hinsichtlich der Textpassage „wer ein Laster (eine Sünde) gesehen hat, sollte es mit seinen Händen ändern“, ist zwar zutreffend, dass diese einen gewissen Interpretationsspielraum offen lässt und nicht notwendigerweise zu einem Verbrechen oder Vergehen auffordert. Wie indes auch der Beschwerdeführer – insoweit richtig – vorbringt, sind die strittigen Predigtpassagen in einem Gesamtkontext zu würdigen. Angesichts der klaren Handlungsaufforderung, wie mit Sündern zu verfahren sei – sie seien in ihren Häusern zu verbrennen bzw. zu töten -, liegt die Annahme zumindest nahe, dass das in der letztgenannten Passage vom Propheten Mohamed verlangte Handeln auch unter Art. 259 StGB fallende Taten einschliesst, resp. von Empfängern der Äusserung so verstanden werden kann. Der entsprechende Schluss der Vorinstanz ist nachvollziehbar, wobei sie zugunsten des Beschwerdeführers davon ausgeht, es handle sich lediglich um Vergehen nach Abs. 2 der Bestimmung von Art. 259 StGB
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