Das Obergericht des Kantons Thurgau hatte den Mann 2018 unter anderem wegen mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung zu einer Geldstrafe und einer Busse verurteilt. Dass der Betroffene trotz Entzug des Führerausweises einen Personenwagen gefahren war, hatte sich aus Aufzeichungen der AFV ergeben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Mannes gut, hebt das Urteil des Obergerichts auf und weist die Sache zu neuem Entscheid an dieses zurück. Bei der AFV werden zunächst mittels Kamera das Kontrollschild, beziehungsweise die Identität des Halters in Erfahrung gebracht; erfasst werden auch Zeitpunkt, Standort, Fahrtrichtung und Fahrzeuginsassen. Über diese Erhebung und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Informationen hinaus werden die Daten anschliessend mit anderen Datensammlungen zusammengeführt und automatisch abgeglichen. Dies ermöglicht eine serielle und simultane Verarbeitung komplexer Datensätze innert Sekundenbruchteilen. Namentlich die Kombination mit anderweitig erhobenen Daten kann Grundlage für Persönlichkeits- und Bewegungsprofile bilden. Die AFV kann abschreckende Wirkung zeigen und mit einem Gefühl der Überwachung einhergehen, das die Selbstbestimmung wesentlich hemmen kann („chilling effect“). Die AFV bedeutet somit einen schweren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäss Artikel 13 Absatz 2 der Bundesverfassung. Schwere Grundrechtseingriffe bedürfen einer klaren und ausdrücklichen Grundlage in einem formellen Gesetz. Für einen effektiven Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist insbesondere erforderlich, dass der Verwendungszweck, der Umfang der Erhebung sowie die Aufbewahrung und Löschung der Daten hinreichend bestimmt sind. Das Thurgauer Polizeigesetz bildet entgegen der Auffassung des Obergerichts keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage für den Einsatz der AFV. Für die Strassenverkehrsteilnehmer ist nicht vorhersehbar, welche Informationen gesammelt, aufbewahrt und mit anderen Datenbanken verknüpft beziehungsweise abgeglichen werden. Nicht ausreichend geregelt ist weiter die Aufbewahrung und Vernichtung der Daten. Dem Thurgauer Polizeigesetz lässt sich insbesondere keine Pflicht entnehmen, die Daten unverzüglich und spurlos zu löschen, falls sich beim Datenabgleich kein Treffer ergeben hat. Mangels einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage wurden die Aufzeichnungen der AFV im konkreten Fall somit rechtswidrig erhoben. Ihre Verwertung als Beweis wäre gemäss Strafprozessordung (Artikel 141 StPO) nur zulässig, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten gehen würde. Das Fahren ohne Berechtigung fällt nicht unter diese Kategorie.
Das Bundesgericht betonte in den folgenden Ausführungen, dass bei der AFV von einer schweren Eingriffsintensität auszugehen ist: „Bei der AFV wird mehr in Erfahrung gebracht als das blosse Kontrollschild bzw. die Identität des Halters. Erfasst werden auch Zeitpunkt, Standort, Fahrtrichtung sowie die (weiteren) Fahrzeuginsassen. Die Erhebung von Daten bewegt sich damit grundsätzlich im Rahmen einer konventionellen Identitätsfeststellung, was für sich allein noch keinen schweren Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV) darstellt (BGE 133 I 77 E. 5.3; 128 II 259 E. 3.3 S. 269 f.; 120 Ia 147 E. 2b; 107 Ia 138 E. 5a; Urteil 1B_17/2019 vom 24. April 2019 E. 3.4, zur Publikation vorgesehen). Letztlich verfolgt die AFV – wie alle erkennungsdienstlichen Massnahmen – das doppelte Ziel, einerseits aufgrund der erfassten Merkmale nicht aufgeklärte Straftaten bestimmten Person zuzuordnen und andererseits bei künftigen Taten eine Wiedererkennung zu ermöglichen (BGE 128 II 259 E. 3.4.1 S. 270 f.).