Bundesgericht entscheidet in Urteilen vom 6. November 2019 (4A_299/2013, 4A_554/2013) über die Entschädigung von Asbestopfern

Das Bundesgericht entscheidet in den Urteilen in Urteilen vom 6. November 2019 (4A_299/2013, 4A_554/2013) über zwei Beschwerden im Zusammenhang mit der Verjährung von Schadenersatz- und Genugtuungsansprüchen der Erben von Asbestopfern. Im Fall eines 2006 verstorbenen Mannes, der bis 1972 in der Nähe des Fabrikgeländes der Eternit AG in Niederurnen (GL) gewohnt hatte, weist es die Beschwerde der Erben ab. Im zweiten Fall heisst das Bundesgericht die Beschwerde der Kinder eines 2004 verstorbenen früheren Angestellten der BLS AG teilweise gut. Das Obergericht des Kantons Bern wird neu entscheiden müssen. Die Geschädigten wurden in beiden Fällen von RA Martin Halblützel, Partner (Gründungspartner) schadenanwaelte, vertreten.

Im ersten Fall hatte ein Mann (geboren 1953) zwischen 1961 und 1972 mit seinen Eltern in Niederurnen (GL) in unmittelbarer Nähe des Fabrikareals der Eternit AG gewohnt, wo Asbest verarbeitet wurde. Nach Angaben des Betroffenen kam er zu jener Zeit häufig mit Asbest in Kontakt, unter anderem durch Staubimmissionen in seinem Schlafzimmer, beim Spielen mit Eternit-Platten oder beim Zuschauen, wie im Bahnhof Asbestsäcke abgeladen wurden. 2004 wurde beim Betroffenen Brustfellkrebs diagnostiziert, dem er 2006 erlag. 2009 forderten die Erben eine Genugtuung. Ihre Klage gegen die Eternit (Schweiz) AG, zwei Mitglieder der Unternehmerfamilie der Eternit AG und die SBB wurde 2012 vom Kantonsgericht und die anschliessende Berufung 2013 vom Obergericht des Kantons Glarus wegen Verjährung abgewiesen.

Der zweite Fall betrifft einen 1936 geborenen Mann, der von 1961 bis Ende Januar 1998 bei der BLS AG (BLS) gearbeitet hatte und dort Asbeststaub ausgesetzt war. 2003 wurde bei ihm Brustfellkrebs diagnostiziert, an dem er 2004 verstarb. Im Juni 2004 erklärte die BLS, im Falle der Geltendmachung von (bisher noch nicht verjährten) Entschädigungsforderungen auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. 2010 klagten die Erben des Betroffenen gegen die BLS und verlangten Schadenersatz und Genugtuung. Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen, ebenso wie die anschliessende Berufung ans Obergericht des Kantons Bern. Das Obergericht war zum Schluss gekommen, dass die intensive Asbestexposition zwischen 1961 und 1985 stattgefunden habe und die Krankheit mit grösster Wahrscheinlichkeit dadurch ausgelöst worden sei. Die zehnjährige Verjährungsfrist habe somit spätestens 1985 zu laufen begonnen, womit die Ansprüche bei Abgabe des Verjährungsverzichts durch die BLS bereits verjährt gewesen seien.

In beiden Fällen erhoben die Erben Beschwerden ans Bundesgericht. Dieses sistierte die Verfahren im April 2014 bis zum Entscheid der eidgenössischen Räte über eine Änderung des Verjährungsrechts. In diesem Zusammenhang hatte 2014 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden (Urteil Howald Moor), dass die Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist gemäss schweizerischem Recht in diesem konkreten Fall den Anspruch auf Zugang zu einer gerichtlichen Beurteilung (Artikel 6 Absatz 1 EMRK) verletze. Das Bundesgericht hob die Sistierung der beiden Verfahren 2018 auf, nachdem der Gesetzgeber über das neue Verjährungsrecht entschieden hatte. Dieses tritt am 1. Januar 2020 in Kraft; der Gesetzgeber verzichtete auf eine Rückwirkung oder eine Übergangslösung und verwies für die früheren Fälle auf den 2017 gegründeten Entschädigungsfonds für Asbestopfer.

Im ersten Fall weist das Bundesgericht die Beschwerde ab. Massgeblich für den Beginn der Verjährungsfrist ist der Zeitpunkt des schädigenden Verhaltens. Da die letzte behauptete Asbeststaubexposition des Betroffenen im Jahr 1972 stattfand, begann die Verjährung spätestens in diesem Zeitpunkt; spätere Pflichtverletzungen (von Informationspflichten) sind nicht ausgewiesen. Bis zur Geltendmachung der Genugtuungsansprüche 2009 durch die Erben liegen rund 37 Jahre, womit die absolute Verjährungsfrist von (derzeit noch) 10 Jahren längst abgelaufen ist. Aus dem Entscheid Howald Moor des EGMR können die Beschwerdeführer nichts Gegenteiliges für sich ableiten. Insbesondere vermag das Bundesgericht dem Urteil nicht zu entnehmen, dass der Anspruch auf Zugang zu einem Gericht absolute Verjährungsfristen nach schweizerischem materiellem Recht grundsätzlich ausschliesst.

Im zweiten Fall heisst das Bundesgericht die Beschwerde teilweise gut und weist die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht zurück. Eine Haftung der BLS setzt unter anderem voraus, dass diese Massnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeitenden unterlassen hat, die nach dem damaligen Kenntnisstand erforderlich gewesen wären. Von der Frage, ob und bis wann eine solche Pflichtverletzung von Seiten der BLS vorliegen könnte, hängt auch der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ab. Massgebend für den Beginn der Frist für die absolute Verjährung ist der Zeitpunkt des schädigenden Verhaltens. Bei andauerndem schädigenden Verhalten ist der Tag entscheidend, an dem dieses Verhalten aufhört. Vorliegend ist davon auszugehen, dass der Betroffene während der ganzen Dauer des Arbeitsverhältnisses Asbest ausgesetzt war. Wann innerhalb dieser Zeitspanne die Krankheit ausgelöst wurde, steht nicht fest. Weder medizinisch noch anhand einer theoretischen Latenzzeit ist es möglich, einen genauen Zeitpunkt zu bestimmen. Sofern die BLS nicht bereits vor 1998 die nach damaligem Kenntnisstand erforderlichen Schutzmassnahmen ergriffen hat, hätte die absolute Verjährungsfrist somit erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Januar 1998 zu laufen begonnen. Die geltend gemachten Ansprüche wären damit entgegen der Ansicht des Obergerichts bei Abgabe des Verjährungsverzichts durch die BLS 2004 noch nicht verjährt gewesen. Das Obergericht wird den Fall und insbesondere die Frage der absoluten Verjährung auf dieser Grundlage neu entscheiden müssen.

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