Bundesgericht bestätigt Verurteilung wegen Verstosses gegen Al-Qaïda/IS-Gesetz  

Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 6B_120/2021 vom 11. April 2022 die Verurteilung einer jungen Frau wegen Verstosses gegen das Al-Qaïda/IS-Gesetz. Sie war Ende 2014 in das Gebiet der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien gereist und lebte während mehrerer Monate in der Gemeinschaft und mit der finanziellen Unterstützung des IS.

Sachverhalt

Die damals 15-Jährige war Ende 2014 zusammen mit ihrem ein Jahr älteren Bruder von der Schweiz in das Gebiet des IS in Syrien gereist und lebte mehrere Monate mit der finanziellen Unterstützung des IS in dessen Gemeinschaft. Ende 2015 gelang ihnen die Flucht zurück in die Schweiz.

Urteile der Vorinstanzen

Das Jugendgericht des Bezirks Winterthur verurteilte die junge Frau 2019 wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen „Al-Qaïda“ und „Islamischer Staat“ sowie verwandter Organisationen (Al-Qaïda/IS-Gesetz) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten.

Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte das Urteil 2020 in den wesentlichen Punkten (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 22. Oktober 2020, SB190175).

Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 6B_120/2021 vom 11. April 2022

Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Betroffenen ab, soweit es darauf eintritt. Es kommt zunächst zum Schluss, dass in ihrem Fall zu Recht das Al-Qaïda/IS-Gesetz angewendet wurde, das noch bis Ende 2022 in Kraft steht.

Zwar sieht das geltende Nachrichtendienstgesetz (NDG) in Artikel 74 ein entsprechendes Verbot der Unterstützung von Terrororganisationen vor. Indessen hat der Bundesrat in seiner Botschaft zu Artikel 74 NDG klar zum Ausdruck gebracht, dass dieser der Strafbestimmung des Al-Qaïda/IS-Gesetzes nicht vorgehen soll, solange letzteres in Kraft ist. Ohnehin sehen Artikel 74 NDG und das Al-Qaïda/IS-Gesetz identische Strafbestimmungen vor.

Die Beschwerdeführerin kritisierte weiter, dass die Strafbestimmung von Artikel 2 Absatz 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes für ihre Verurteilung nicht ausreichend bestimmt sei. Das Bundesgericht hat bereits in einem früheren Entscheid erwogen (Urteil 6B_948/2016), dass der Gesetzgeber mit der Bestimmung von Artikel 2 Absatz 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes sämtliche Aktivitäten der Al-Qaïda, des IS und verwandter Organisationen in der Schweiz und im Ausland unter Strafe stellen wollte, ebenso wie alle Handlungen, die darauf abzielten, diese materiell oder personell zu unterstützen. Das mit Strafe bedrohte Verhalten sei insofern einzuschränken, als auf eine gewisse Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS abzustellen sei. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots sei nicht zu erkennen. Daran ist gemäss dem Bundesgericht weiterhin festzuhalten.

Die Beschwerdeführerin lebte während mehrerer Monate in der Gemeinschaft und mit der finanziellen Unterstützung des IS, zunächst in einer nach Geschlechtern getrennten Unterkunft und danach in einer eigenen Wohnung mit ihrem Bruder. Dort übernahm sie die nach den Regeln des IS für eine Frau vorgesehene Rolle im Haus; sie bedeckte sich mit einer Vollverschleierung, war für den Haushalt und das Wohl ihres Bruders zuständig, unterrichtete Kinder in Englisch und nahm als Mitglied der Gesellschaft am Leben des IS teil. Die von der Rechtsprechung geforderte Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS ist damit gegeben. Zudem steht gemäss den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts fest, dass sie die Reise im Wissen um die Taten des IS unternahm und es ihrem Willen entsprach, sich als Mitglied der Gesellschaft am Leben des IS zu beteiligen.

Hier ist die Schlüsselausführung des Bundesgerichts im Urteil 6B_120/2021 vom 11. April 2022: «Der Beschwerdeführerin wird im angefochtenen Entscheid nicht vorgeworfenen, sie habe aktiv Werbung für den IS betrieben oder sich an Kampfhandlungen des IS beteiligen wollen. Die Vorinstanz betont vielmehr, die Abreise der Beschwerdeführerin sei heimlich erfolgt. Sie und ihr Bruder hätten ihren Plan mit grosser Akribie und Sorgfalt sowie höchster Geheimhaltung verfolgt und alle nötigen Vorkehrungen getroffen, damit ihre Abreise gelinge und nicht entdeckt werde (angefochtenes Urteil E. 3.1 S. 40). Indes blieb es bei der Beschwerdeführerin nicht beim Versuch, zwecks Unterstützung des IS nach Syrien zu reisen, sondern sie lebte effektiv während mehrerer Monate in der Gemeinschaft und mit der finanziellen Unterstützung des IS, zunächst in einer nach Geschlechtern getrennten Unterkunft und danach in einer eigenen Wohnung mit ihrem Bruder. Dort übernahm sie gemäss der Vorinstanz die für eine Frau vorgesehene Rolle im Haus; sie bedeckte sich mit einer Vollverschleierung, war für den Haushalt und das Wohl ihres Bruders zuständig, unterrichtete Kinder in Englisch, gab sich mit den Frauen ab und nahm in dieser Form als Mitglied der Gesellschaft am Leben im IS teil (angefochtenes Urteil E. 3.1 S. 40). Darin liegt gemäss den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz eine Unterstützung des IS im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes. Die von der Rechtsprechung geforderte Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.1) ist gegeben, da die Beschwerdeführerin vor Ort als Mitglied der Gesellschaft am Leben im IS teilnahm und sie dort die ihr nach den Regeln des IS als Frau zufallenden Aufgaben erfüllte. Entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin geht es daher nicht darum, das blosse Betreten des Gebiets des IS unter Strafe zu stellen. Nicht erforderlich ist im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes demgegenüber, dass die inkriminierte Tätigkeit direkt auf die Förderung der vom IS verübten Gewaltstraftaten ausgerichtet ist, da das Al-Qaïda/IS-Gesetz die Gruppierung „Islamischer Staat“ als solches verbietet (vgl. Art. 1) und Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes in der Generalklausel explizit jede Förderung der Aktivitäten des IS unter Strafe stellt. Unerheblich ist für den Schuldspruch, ob das Verhalten der Beschwerdeführerin unter die Tathandlung der „Beteiligung am IS“ oder der „personellen Unterstützung“ oder unter die Generalklausel der „Förderung auf andere Weise“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes fällt (vgl. Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.2). Darin, dass sich die Vorinstanz diesbezüglich nicht festlegt, liegt entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, da das Verhalten in allen Fällen nach Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes strafbar ist.» (E.7.4).

 

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