Bundesgericht bejaht im Facebook-Urteil vom 29. Januar 2020 6B_114/2018) mögliche Strafbarkeit bei Drücken von „Gefällt mir“ oder „Teilen“-Button

Gemäss Urteil des Bundesgerichts vom 29. Januar 2020 (6B_1114/2018) kann das Drücken des „Gefällt mir“- oder „Teilen“-Buttons für einen ehrverletzenden Beitrag auf Facebook eine tatbestandsmässige Handlung darstellen, wenn der Beitrag dadurch einem Dritten mitgeteilt wird. Das Bundesgericht bestätigt in diesem Punkt einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich. Allerdings muss das Obergericht im konkreten Fall nochmals prüfen, ob die weiterverbreiteten Inhalte tatsächlich eine üble Nachrede darstellen.

Das Obergericht des Kantons Zürich hatte den Mann 2018 wegen mehrfacher übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Ihm wurde zunächst angelastet, in einem selbstverfassten Mail und einem eigenen Facebook-Kommentar ehrverletzende Aussagen zu Lasten einer Drittperson gemacht zu haben; weiter habe er unter Facebook-Beiträge anderer, in denen der fraglichen Drittperson rechtes, „braunes“ sowie antisemitisches Gedankengut vorgeworfen wurde, eine „Gefällt mir“- oder „Teilen“Markierung gesetzt. Damit habe er eine üble Nachrede „weiterverbreitet“. Der Verurteilte erhob Beschwerde ans Bundesgericht.

Gemäss dem Urteil des Bundesgerichts gilt die Weiterverbreitung einer üblen Nachrede im Sinne von Artikel 173 Ziffer 1 Absatz 2 des Strafgesetzbuches (StGB) als eigenständiges Delikt. Sowohl das Drücken des „Gefällt mir“-Buttons, als auch das Drücken des „Teilen“-Buttons auf Facebook können zur besseren Sichtbarkeit und damit zur Verbreitung des markierten Beitrags im sozialen Netzwerk führen. Ob jedoch tatsächlich eine strafbare Weiterverbreitungshandlung vorliegt, bedarf einer Betrachtung im Einzelfall.

Von Gesetzes wegen ist dazu erforderlich, dass der „gelikte“ oder geteilte Beitrag einem Dritten mitgeteilt wird; das Delikt ist erst vollendet, wenn der weiterverbreitete Vorwurf für einen Dritten sichtbar und von diesem wahrgenommen wird. Dies hängt einerseits von der Pflege des Newsfeeds bzw. dem Algorithmus des sozialen Netzwerkdienstes ab, andererseits von den persönlichen Einstellungen der Nutzerinnen und Nutzer. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die „gelikten“ und geteilten Nachrichteninhalte an Personen gelangt sind, die nicht dem Abonnentenkreis des Ursprungsautors angehörten. Das Obergericht ist damit zu Recht davon ausgegangen, dass der Tatbestand des Weiterverbreitens grundsätzlich erfüllt ist. Im Ergebnis heisst das Bundesgericht die Beschwerde dennoch gut und weist die Sache zu neuem Entscheid zurück ans Obergericht. Es hat den Beschuldigten bisher zu Unrecht von der Möglichkeit ausgeschlossen, die Wahrheit der fraglichen Vorwürfe zu beweisen.

Nicht zu klären hatte das Bundesgericht im Rahmen der vorliegenden Beschwerde, ob Facebook als „Medium“ im Sinne von Artikel 28 StGB zu qualifizieren wäre. Gemäss der Bestimmung ist bei einer strafbaren Handlung, begangen durch die Veröffentlichung in einem Medium, grundsätzlich nur der Autor des fraglichen Beitrags strafbar („Medienprivileg“).

Hier sind die wichtigsten Erwägungen des Bundesgerichts: „Soweit die Vorinstanz davon ausgeht, dass auch das Drücken des „Gefällt mir“-Symbols zusammen mit der von den Autoren übermittelten Botschaft ein gemischtes Werturteil (seitens des Beschwerdeführers) darstellt, kann ihr in dieser Absolutheit nicht gefolgt werden. Bei Facebook handelt es sich laut Vorinstanz um einen sozialen Netzwerkdienst, der darauf ausgerichtet ist, eine schnelle und weitreichende Kommunikation zu ermöglichen. Es gilt dabei als Erfahrungstatsache, dass für dessen Nutzerinnen und Nutzer das „Gefällt mir“ und das „Teilen“ von zentraler Bedeutung sind. Sie ermöglichen – neben der Kommentar-Funktion – die Verbreitung von Informationen (vgl. SELMAN/SIMMLER, „Shitstorm“ – strafrechtliche Dimensionen eines neuen Phänomens, in: ZStR 136/2018 S. 261 f.). Anders als bei der Kommentar-Funktion erfolgt die Markierung eines „Gefällt mir“ oder das „Teilen“ jedoch grundsätzlich wertungsoffen. Während mit dem „Teilen“ überhaupt keine Bewertung verbunden ist, bleibt die Bedeutung der „Gefällt mir“-Bekundung trotz des „Daumen hoch“ diffus bzw. ohne verbindliche Resonanz des betreffenden Inhalts. Neben der inhaltlichen Gefallensäusserung kann es sich auch um einen schlichten Beifall zur entsprechenden Formulierung oder zur Beziehung zur Autorenschaft handeln. So führen einzelne Beiträge nicht selten zu einem (ir) rationalen Herdenverhalten des sozialen Netzkollektivs. Phänotypisch sind etwa Eltern, die jeden Beitrag ihrer Söhne oder Töchter kritiklos „liken“. Die näheren Gründe oder Motive für das „Gefällt mir“ bleiben dabei verborgen (RAFAEL STUDER, Straflosigkeit des Likens – Exemplifikation anhand ehrverletzender Tatsachenbehauptungen auf Facebook, in: recht 2018, S. 176; STÉPHANIE MUSY, La Répression du discours de haine sur les réseaux sociaux, in: SJ 2019 II S. 12 f.). Den Funktionen „Gefällt mir“ und „Teilen“ kann insofern grundsätzlich keine über das Weiterverbreiten des entsprechenden Posts hinausgehende Bedeutung zugemessen werden. Denkbar sind höchstens Fälle, in denen sich der Wiedergebende die fremde Äusserung für einen Dritten zweifelsfrei erkennbar zu eigen macht, namentlich durch das gleichzeitige Veröffentlichen eines Kommentars. Ob die blosse Markierung des „Gefällt mir“-Symbols und das „Teilen“ eines Posts vorliegend für sich allein geeignet waren, die Beschwerdegegner 2 und 3 in ihrer Ehre zu verletzen, kann offenbleiben, da sich die inkriminierten Handlungen in objektiver Hinsicht ohnehin als tatbestandsmässig erweisen (vgl. nachstehend E. 2.2.4 f.). “ (E.2.2.3.).

Weiter äussert sich das Bundesgericht wie folgt: „Wie soeben erwähnt, können sowohl das Drücken des „Gefällt mir“-Symbols wie auch das „Teilen“ zur besseren Sichtbarkeit und damit zur Verbreitung des markierten Beitrags im sozialen Netzwerk führen. Die Weiterverbreitung im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 Abs. 2 StGB gilt als eigenständige Tatbestandsvariante (SELMAN/SIMMLER, a.a.O., S. 261 f.; FRANZ RIKLIN, in: Basler Kommentar, Band II, 4. Aufl. 2019, N. 4 zu Art. 173 StGB). Die weitreichenden Verbindungen innerhalb der sozialen Netzwerke erlauben gar die „virale“, d.h. die massenhafte und rapide Verbreitung fremder Beiträge (vgl. Urteil 5A_195/2016 vom 4. Juli 2016 E. 5.3). Unerheblich ist dabei nach der Rechtsprechung, ob dem Dritten die fremde Behauptung bereits bekannt war (BGE 118 IV 160 E. 4a S. 160; 73 IV 27 E. 1). Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (STUDER, a.a.O., S. 181) spielt es für die Strafbarkeit auch keine Rolle, dass der Weiterverbreiter die tatsächliche Anzeige seines „gelikten“ oder „geteilten“ Beitrags auf einem fremden Newsfeed nicht beeinflussen kann. Ob das Drücken des „Gefällt mir“-Symbols oder das „Teilen“ eines Posts eine Weiterverbreitungshandlung darstellt, bedarf jedoch einer Einzelfallbetrachtung. Die Weiterverbreitung im Sinne des Gesetzes bedingt, dass die bereits von einem anderen aufgestellte Erklärung einem Dritten mitgeteilt wird (DONATSCH, in: Kommentar Schweizerisches Strafgesetzbuch, Donatsch et al. [Hrsg.], 20. Aufl. 2018, N. 17 zu Art. 173 StGB; STRATENWERTH/JENNY/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Straftaten gegen Individualinteressen, 7. Aufl. 2010, § 11 N. 24 und 26). Erst wenn der ehrverletzende Vorwurf des Autors, auf den der Weiterverbreiter mit einem „Gefällt mir“ oder einem „Teilen“ reagiert, für einen Dritten sichtbar wird und dieser ihn wahrgenommen hat, ist das Delikt vollendet (vgl. BGE 102 IV 35 E. 2b mit Hinweisen). Dies hängt in Fällen wie dem Vorliegenden namentlich von der Pflege des Newsfeeds bzw. dem Algorithmus des sozialen Netzwerkdienstes einerseits, und den persönlichen Einstellungen der betreffenden Nutzerinnen und Nutzer andererseits, ab (dazu auch STUDER, a.a.O., S.178 f.; MUSY, a.a.O., S. 13).

Kommentar RA Boris Etter (Strafrechts- und Medienanwalt in Zürich) zum wegweisenden Facebook-Urteil
Das Facebook-Urteil des Bundesgerichts ist von grundsätzlicher Bedeutung. Erstens stellt das Bundesgericht das Drücken vom „Gefällt mir“-Button dem Drücken vom „Teilen“-Button rechtlich gleich. Das finde ich etwas überraschend. Hier könnten sich beim subjektiven Tatbestand Fragen stellen, nämlich ob überhapt ein Vorsatz oder Eventualvorsatz angenommen werden kann in der Praxis bei Drücken des „Gefällt mir“-Buttons. Denn beides führe zu einer besseren Sichtbarkeit und damit der Verbreitung des markierten Beitrags in sozialen Netzwerken. Zur Strafbarkeit bedarf es der Kenntnisnahme des so verbreiteten Posts durch Dritte.

Zweitens stellt Weiterverbreitung eines Posts durch einen der Buttons ein eigenständiges Strafdelikt dar. Voraussetzung ist natürlich, dass der ursprüngliche Post eine strafbare Handlung darstellte.
Dieses Grundsatzurteil ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Denn viele Menschen in der Schweiz drücken gerade den „Gefällt mir“-Button sehr rasch und nicht selten ohne genaue Kenntnisnahme oder gar vertiefte Prüfung des Inhalts des ursprünglichen Berichtes. Auch der „Teilen“-Button wird meines Erachtens leichtfertig eingesetzt. Ab heute sollte jeder und jede einen Post, den man durch einen der Buttons verbreiten möchte genau lesen und nochmals genau darüber nachdenken. Das wird vielen Menschen, vor allem Digital Natives, vielleicht nicht so leichtfallen.

Ich erwarte, dass es hier eine Welle von Strafverfahren geben wird. In der Schweiz werden auf Facebook oft nicht sehr nette Inhalte gepostet. Das Facebook-Urteil gilt für die Weiterverbreitung von allen strafbaren Inhalten, ist also in seiner Tragweite auf Delikte der üblen Nachrede (wie im vorliegenden Fall) beschränkt. Und das Urteil ist auch nicht auf Facebook beschränkt, sondern gilt für alle sozialen Medien, so etwa auch LinkedIn.

Schwierigkeiten dürften in der Praxis die Beweisführung bieten, nämlich über die effektiven Auswirkungen auf die Verbreitung eines Posts.

Boris Etter, lic.iur. HSG, Rechtsanwalt, LL.M., Zürich

Kommentar MLaw Priscilla Schürch
Das Bundesgericht hat sich mit dem Facebook-Urteil an ein in der Lebenswirklichkeit von Social Medias relevantes Thema gewagt, welches nicht ohne Blick auf zukünftige Entwicklungen verstanden werden sollte. Insbesondere problematisch empfinde ich, dass die User der Willkür des Algorithmus ausgesetzt werden. Das ein Teilen klar eine Verbreitungshandlung der Ehrverletzung darstellt, ist zweifellos zu bejahen. Jedoch erscheint mir die Begründung zur Verbreitungshandlung durch ein Like konstruiert, da der blosse Like kaum dazu führt, dass der Beitrag direkt einem Dritten mitgeteilt wird und sich zudem der Einfluss auf die Sichtbarkeit des Beitrags, durch den Like der jeweiligen Personen, nicht nachweisen lässt. Zu Bedenken ist weiter ein mögliches Ausufern der Strafbarkeit auf sämtliche beteiligte Personen sowie Netzwerke, was durchaus in Konflikt mit dem Recht der freien Meinungsäusserung geraten kann.
MLaw Priscilla Schürch – Content Creator & Influencerin bei www.thechicadvocate.com

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