Bär & Karrer gewinnt gegen Kantonspolizei Zürich vor Bundesgericht (Urteil 1B_115/2019 vom 18. Dezember 2019) zum Thema Leibesvisitation

Das Bundesgericht behandelte im Urteil 1B_115/2019 vom 18. Dezember 2019 den Fall eines estnischen Staatsangehörigen, der in London wohnt und dort als Geschäftsmann tätig ist. Dieser wurde durch Bär & Karrer Partner Eric Stupp vor dem Bundesgericht vertreten. Die Kantonspolizei Zürich hielt den Geschäftsmann bei der Einreise am Flughafen Zürich auf. Dabei wurde er auch einer Leibesvisitation unterzogen und musste u.a. mit entkleideter Unterhose in die Hocke gehen. Die vom Geschäftsmann aus London gegen die Leibesvisitation erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich ab. Das Bundesgericht hob den Entscheid des Zürcher Obergerichts auf und stellte fest, dass die Leibesvisitation des Geschäftsmanns  unrechtmässig war.

Das Bundesgericht äussert sich zunächst wie folgt: „Art. 241-243 StPO enthalten allgemeine Bestimmungen zu Durchsuchungen und Untersuchungen. Gemäss Art. 241 Abs. 4 StPO kann die Polizei eine angehaltene oder festgenommene Person durchsuchen, namentlich um die Sicherheit von Personen zu gewährleisten. Art. 249 f. StPO regeln die Durchsuchung von Personen und von Gegenständen. Gemäss Art. 249 StPO dürfen Personen und Gegenstände ohne Einwilligung nur durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden können. Nach Art. 250 StPO umfasst die Durchsuchung von Personen die Kontrolle der Kleider, der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeuge, der Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen (Abs. 1). Durchsuchungen, die in den Intimbereich der Betroffenen eingreifen, werden von Personen des gleichen Geschlechts oder von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt, es sei denn, die Massnahme dulde keinen Aufschub (Abs. 2).
Dass mit diesen Bestimmungen eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Leibesvisitation bestand, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede. Er bringt vor, da bei ihm Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung gefehlt hätten, sei die Leibesvisitation unverhältnismässig gewesen. Sie habe eine erniedrigende Behandlung dargestellt.“ (E. 2.2)

Weiter geht es wie folgt im Urteil: „Gemäss Art. 7 BV ist die Würde des Menschen zu achten. Dies bekräftigt Art. 3 Abs. 1 StPO. Danach achten die Strafbehörden in allen Verfahrensstadien die Würde der vom Verfahren betroffenen Menschen. Gemäss Art. 10 Abs. 3 BV und Art. 3 EMRK ist eine erniedrigende Behandlung verboten. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung gegen die Menschenwürde verstösst und eine erniedrigende Behandlung darstellt, kommt es auf die Umstände an (BGE 141 I 141 E. 6.3.5 S. 147 ff. mit Hinweisen). Die Leibesvisitation stellt einen Eingriff dar in das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1 BV). Sie muss verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO). Sie muss somit geeignet sein, den damit verfolgten Zweck zu erreichen. Sodann muss sie erforderlich sein. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn mildere Massnahmen zur Erreichung des angestrebten Zwecks genügen. Schliesslich muss die Massnahme dem Betroffenen zumutbar sein (BGE 142 I 135 E. 4.1 S. 151; 141 I 141 E. 6.5.3 S. 151; je mit Hinweisen).“ (E.2.3)

Das Bundesgericht zitiert nachfolgend dann Urteile aus der eigenen Rechtsprechung und geht auf die EMRK ein.

Es kommt dann zum Schluss, dass der angefochtene Entscheid der Rechtsprechung widerspricht: „Danach ist auch bei jemanden, der in eine Zelle eingesperrt wird, eine Durchsuchung mit vollständiger Entkleidung und Verpflichtung des Betroffenen, in die Hocke zu gehen, nur zulässig, wenn ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen. Solche Anhaltspunkte können sich aus der dem Betroffenen vorgeworfenen Straftat ergeben. Es ist nicht dasselbe, ob jemandem ein Gewaltdelikt zur Last gelegt wird und man es deshalb mit einer mutmasslich gefährlichen Person zu tun hat oder ob es an einem solchen Delikt fehlt und damit insoweit keine Anzeichen für eine Gewaltbereitschaft vorliegen. Zu berücksichtigen ist sodann das Verhalten des Festgenommenen. Verhält er sich aggressiv, spricht das für die Zulässigkeit der Leibesvisitation. Anders liegt es, wenn er sich anständig und kooperativ verhält. Im Weiteren ist von Bedeutung, ob die Verbringung des Festgenommenen in eine Zelle für ihn überraschend kommt. In einem derartigen Fall hat er in der Regel weder Zeit noch Gelegenheit, Waffen oder andere gefährliche Gegenstände unter den Kleidern zu verbergen. Eine andere Situation besteht, wenn der sich auf freiem Fuss befindliche Betroffene zum voraus weiss, dass er in eine Zelle verbracht werden wird, wie das namentlich beim Antritt einer Freiheitsstrafe der Fall ist.“ (E. 2.7)

Weiter fährt das Bundesgericht fort: „Dem Beschwerdeführer wird eine Datenbeschädigung gemäss Art. 144 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zur Last gelegt. Danach wird bestraft, wer unbefugt elektronisch oder in vergleichbarer Weise gespeicherte oder übermittelte Daten verändert, löscht oder unbrauchbar macht. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer zu Gewalt neigen könnte, ergaben sich aus dem Deliktsvorwurf somit nicht. Nach den Darlegungen der Vorinstanz verhielt er sich gegenüber den Polizeibeamten stets kooperativ. Die Festnahme erfolgte für ihn sodann überraschend, was dagegen sprach, dass er unter den Kleidern eine Waffe oder andere gefährliche Gegenstände verbarg. Dafür bestanden umso weniger Anzeichen, als er am Flughafen in London bei der Sicherheitskontrolle vor der Abreise bereits auf gefährliche Gegenstände hin untersucht worden war. Ernsthafte und konkrete Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Fremdgefährdung fehlten demnach. Auch war nicht zu vermuten, dass Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände und Vermögenswerte gefunden werden konnten (Art. 249 StPO). Damit ist es unverhältnismässig, wenn sich der Beschwerdeführer nackt ausziehen und zusätzlich in die Hocke gehen musste, damit seine Aftergegend gesichtet werden konnte. Dass die Leibesvisitation in zwei Phasen erfolgte und der Beschwerdeführer die Kleider des Ober- bzw. Unterkörpers jeweils anbehalten durfte, ändert daran nichts. Zwar ist einzuräumen, dass eine Selbst- oder Fremdgefährdung auch in einem Fall wie hier nicht absolut ausgeschlossen ist. Das verbleibende Risiko ist jedoch derart gering, dass sich eine Leibesvisitation mit Entkleidung gegen den Willen des Betroffenen nicht rechtfertigt. Um diesem Risiko zu begegnen, genügt es, wenn der Polizeibeamte den Betroffenen – gegebenenfalls unter Einsatz geeigneter technischer Hilfsmittel – über den Kleidern abtastet und ihm vor der Verbringung in die Zelle den Gürtel und die Schnürsenkel wegnimmt.“ (E.2.8)

Das Bundesgericht verwirft schliesslich Argumente des Obergerichts Zürich zur „Praktibilität des Dienstbefehls“ und heisst die Beschwerde des Geschäftsmannes aus London, der durch Bär & Karrer Partner Eric Stupp erfolgreich vor dem Bundesgericht vertreten wurde, gut. Die vom Bundesgericht in Ziff. 3 des Dispositivs zugesprochene Parteientschädigung von CHF 4’000 dürfte hier wohl die effektiven Anwaltskosten nicht gedeckt haben. Das ist aber bei Beschwerden in Strafsachen vor dem Bundesgericht aber (leider) oft der Fall, wo das Gericht selber eine Entschädigung als Pauschale festlegt.

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