Das Staatssekretariat für Migration (SEM) trat 2016 auf das Asylgesuch eines Mannes aus Eritrea im Dublin-Verfahren nicht ein und ordnete seine Überstellung nach Italien an. Die dafür angesetzte sechsmonatige Frist für den im Kanton Neuenburg wohnhaften Mann verstrich ohne Überstellung. In der Folge verweigerte das SEM dem Kanton Neuenburg die weitere Ausrichtung der im Asylgesetz (AsylG) vorgesehenen Bundesbeiträge (Pauschalabgeltung für die anfallenden Kosten) für die Betreuung des Betroffenen. Nach Ansicht des SEM kam der Kanton seiner Pflicht nicht nach, die Überstellung nach Italien fristgerecht zu vollziehen, weshalb der Bund den Kanton für die dem Asylsuchenden danach gewährte Unterstützung nicht mehr zu entschädigen habe.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde des Kantons ab.
Ausführungen des Bundesgerichts im Urteil 2C_694/2022 vom 21. Dezember 2023
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Kantons Neuenburg gut und weist die Sache zur Festlegung und Ausrichtung der Pauschalabgeltung zurück ans SEM. Gemäss AsylG kann der Bund auf die Leistung einer Pauschalabgeltung für eine asylsuchende Person an ihren Wohnkanton verzichten, wenn dieser seinen Vollzugsaufgaben nicht nachkommt und sich dadurch der Aufenthalt der betroffenen Person verlängert (Artikel 89b AsylG). Eine Auslegung des AsylG ergibt, dass der Bund die Pauschalabgeltung gegenüber einem Kanton nicht verweigern darf, wenn dieser beim Vollzug zwar seine Pflichten verletzt hat, sich dafür aber auf entschuldbare Gründe berufen kann und ihm deshalb objektiv keine mangelnde Sorgfalt und keine schuldhafte Nichterfüllung seiner Pflichten vorgeworfen werden kann. Der Kanton Neuenburg bringt vor, auf die Dublin-Überstellung des Mannes nach Italien wegen der Schwangerschaft seiner Partnerin verzichtet zu haben, die als Asylsuchende aus dem gleichen Herkunftsland in der Schweiz lebt. Aus dem Urteil der Vorinstanz ergibt sich, dass der Mann im Rahmen des Asylverfahrens auf seine hier lebende Partnerin hingewiesen hat. Dass sie von ihm ein Kind erwartet, haben die kantonalen Behörden vom Betroffenen in einem Gespräch zur beabsichtigten Überstellung erfahren. In der Folge hat der Kanton die Überstellung nach Italien nicht mehr weiterverfolgt. Der Kanton ermöglichte es damit, dass der Betroffene bei der Geburt seines Kindes anwesend sein kann und vermied letztlich die Trennung einer Familie von asylsuchenden Personen, die bereits vor der Einreise in die Schweiz bestand, was das SEM im Rahmen des nachträglichen ordentlichen Asylverfahrens selber anerkannt hat. Der Kanton Neuenburg hat damit nichts anderes getan, als eine rechtskonforme und den internationalen Verpflichtungen der Schweiz entsprechende Situation herbeizuführen. Es liegt somit ein entschuldbarer Grund für die Pflichtverletzung des Kantons beim Vollzug der Überstellung nach Italien vor.